Bernsteinfarbene Augen
Beinahe fluchtartig verließ ich meine Mietwohnung über das Wochenende, um der Natur ein Stück weit näher zu kommen, und nun stehe ich hier. Mit einem kräftigen Zug strömt die frische Bergluft durch meine Atemwege und man könnte behaupten, ich habe in diesem Moment all meine Sorgen vergessen.
Wie eine heilende Brise gesandt von Erzengel Raphael legt sich das Gefühl von grenzenloser Freiheit auf mein Gemüht. Die in der Sonne schillernde Schneelandschaft vermischt sich mit dem klaren Himmelbau des Horizonts und dem eisigen Wind, der mir um die Wangen streicht. Ich lasse meinen Blick über die eindrucksvollen Gletscher und Kalksteinplatten des Dachsteins schweifen. Dabei entdecke ich einen Steinadler am rauen Felsvorhang. Als ich näher an den gefiederten Freund trete, schnellt dessen Blick in meine Richtung. Gänsehaut übersäht meinen Körper. Die bernsteinfarbenen Augen treffen die Meinen und es bricht eine Starre aus, gefolgt von gegenseitiger Faszination. Sekunden darauf, die mir wie eine Ewigkeit vorkommen, stößt sich der Greifvogel mit seinen vom Winter gezeichneten Füßchen in die Lüfte und gleitet in das überwältigende Panorama der ach so bekannten Alpen Österreichs.
„Werden in zwanzig Jahren meine wärmenden Stiefel das Gletschereis berühren oder werden dessen Sohlen auf bloßen Stein treffen?“, schoss es in mir hoch. Wie ein beschworenes Übel breitet sich der Klimawandel in meiner Gedankenwelt aus und färbt mein Gemüht kohlschwarz. Wie ein Schlag ins Gesicht trifft die Realität, die mich für einen Moment ins mentale Aus befördert. „Zukunftszauber, das ist es. Wenn ich die heutigen Erlebnisse wiederholen möchte, so braucht die Welt einen Zukunftszauber.“, besinne ich mich und lenke meine Aufmerksamkeit auf die gut sichtbaren Wegweiser, die den Abstieg kennzeichnen. Es wird Zeit heimzukehren.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX