überqueeren
Das Wasser ist heute eigentlich nicht trüber als sonst, doch es schäumt ganz ordentlich. Ungewöhnlich stark, eigentlich. Schaum, da freuen sich die Fische sicher, da kommen sie mal an die frische Luft. Schau, wie sie wild hin und her schießen. Ich schau die Fische an, fast als würd ich was wollen von ihnen.
Es ist für mich launisches Meditieren. So sitz ich also neben dem Wasser und vertreibe mir die Zeit. Beziehungsweise, ich merke natürlich nicht, dass die Zeit vergeht, ich bin ja so vertieft in das Wasser. Aber objektiv ist das natürlich ein Zeitvertreib. Dabei hab ich eigentlich keine Zeit, da einfach so zu sitzen. Wenn die Fische nur schneller fertig wären ihrer windigen Munterkeit. Und doch muss ich ihnen zuschauen.
Ich vertreibe mir nicht die Zeit. Ich verstecke mich vor ihr. Ich bin heute nur hierher gekommen, um sich vor ihr zu verstecken. Ich verstecke mich oft hier, meistens, um sich in Ruhe um die Fische kümmern zu können. Das ist wichtig für mich, und sonst kann ich kaum. Doch heute verstecke ich mich auch vor der Zeit. Je weniger sie wird, die Zeit, umso furchterregender wird sie, und je mehr mich diese Furcht ins Versteck treibt, umso furchtbarer wird sie.
Heut hätt ich ja eigentlich noch was vorgehabt, glaub ich. Irgendwann in der Früh hab ich mitbekommen, dass ich irgendwann am Abend irgendwo hinmöchte. Wohin genau und warum weiß ich nicht mehr, so genau hab ich die Kalenderbenachrichtigung gar nicht lesen können, da hab ich mich schon vor ihr versteckt. Wenn das vorbei ist, bin ich nichts mehr, da hab ich hier keinen Platz mehr.
Ach ja, ich bin wie ein Fisch, der sein Wasser verlässt. Das bin ich. Wenn die Benachrichtigung das nächste Mal klingelt, kommt ein Bus glaub ich, und der führt mich irgendwohin. Angeblich zieh ich aus. Ich weiß ehrlich gesagt nicht warum, aber offenbar muss man das machen irgendwann und dann ist man fertig mit seiner Familie und seiner Heimat und dann macht man halt was anderes. Jetzt schäumt es weniger. Ach ja, ich ziehe aus. Ich bin mit der Schule fertig und geh jetzt zur Uni.
Stille Wässer sind tief, und ich offenbar hab ich einfach Angst. Was wenn sich mich da wer raussucht, und nicht mehr von mir ablässt? Jetzt ist’s auch nicht gut, immerhin bin ich ja wo ich bin, in der Waschküche, leicht vor sich hinfiebernd, wie ich meinen BH anstarre und träume, als wär er ein Fisch. Endlich läutet nämlich die Waschmaschine, dass sie fertig ist. Schubert. Deshalb. Jetzt also schnell nehmen, los, und schnell zum Bus. Dort, wo mich keiner kennt. Keiner weiß, wer ich bin. Aber auf der Uni, vielleicht ist da sonst noch wer wie ich.
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