Besser, aber selten gut
Ich schreibe nicht.
Nicht, weil ich keine Ideen oder keine Zeit habe, ich kann einfach nicht. Den ganzen Tag liege ich im Bett, mit Fusseln unter den Fingernägeln und drücke alle Nachrichten weg. Ich habe keine Zeit zu telefonieren, ich bin beschäftigt. Hauptsache, keine tiefsinnigen Gespräche. Oder überhaupt irgendwelche Gespräche. Hauptsache, ich muss mein Zimmer nicht verlassen. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal geduscht habe, und stehe höchstens zum Mittagessen auf. Lieber bleibe ich hier, mit dem Kopf an meiner Bettkante, gerade so, dass das Kabel bis zur Steckdose reicht. HDfilme und Youtube shorts lautet das Programm, den ganzen Tag lang. Der Akku bleibt gleich, doch der Hass auf mich selbst und auf alles andere steigt. Die letzten wirklichen Emotionen sind Wochen her, ich bin ein unbewegliches Bündel aus Hass und Ekel in Embryonalhaltung. Für andere Gefühle ist kein Platz. Ich schlafe maximal 3 Stunden und kann nicht mehr unterscheiden zwischen müde und wütend. Manchmal, wenn die Nadel in den schwarzen Rillen der Platte einrastet, meine ich, noch etwas in mir zu spüren. Doch der Plattenspieler steht einen Meter vom Bett entfernt, dazu fehlt mir die Kraft. Manchmal schaffe ich es rüber zum PC, doch auch da schreibe ich nicht. Der Text ist irgendwo vor mir, hinter einem dichten Nebel, doch ich kann ihn nicht erreichen. Ich kann nicht mal aufrecht sitzen, geschweige denn stehen. Stattdessen mache ich im Prinzip dasselbe wie zuvor, nur in besserer Auflösung. Solange der Bildschirm leuchtet, bin ich am Leben. Ich hab Maus und Tastatur, wozu brauch ich Emotionen. Bitte ruf mich nicht mehr an, du verschwendest nur deine Zeit. Meine Zeit verschwende ich selber, ich bin damit beschäftigt, nicht vom Schreibtischstuhl zu fallen. Eigentlich sollte ich jetzt schreiben oder lernen oder schlafen. Oder Sport machen und 3 Liter Wasser trinken. Zumindest mal wieder eine richtige Mahlzeit essen. Einen Therapieplatz suchen. Eigentlich sollte ich das alles schon gestern erledigt haben. Doch ich mache wieder nichts, genauso wie gestern und vorgestern und vorvorgestern. Ich bleibe im Bett und mein Text bleibt weiterhin irgendwo in der Zukunft, hinter dem Nebel.
Ich schreibe nicht.
„Jede Blase platzt irgendwann“ singt Milli Dance aus meinen Kopfhörern, es geht wieder bergauf. Ohne Vorwarnung werde ich wieder in meinen normalen Alltag geworfen, es ist besser, aber selten gut. Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich dem zu fügen und wieder mitzuspielen. Der Nebel ist nicht weg, jeden Tag spüre ich seine Anwesenheit in der Ferne, doch meistens habe ich keine Zeit genauer nachzusehen, ich muss bergeweise Aufgaben nachholen. Das stresst mich natürlich, doch sobald sich ein DrDamage-Sample zu meinen Gedanken gesellt und die Drums einsetzen, fühle ich mich überall wie zuhause. Noch einen Moment durchatmen, dann ziehe ich den Finger über den Sensor, erwecke den Laptop zum Leben und beginne die ersten Buchstaben zu tippen.
Ich schreibe nicht.
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