Bipolar- Wenn Übermut und Unmut zur Krankheit werden
Kleine Tropfen fielen auf die Veranda vor ihrer Balkontür und machten dabei leise Geräusche. Jeder einzelne platschte, wenn er auf dem Steinboden landete. Der Wind im Hintergrund pfiff durch Bäume, ließ Blätter rascheln.
Es war Nacht, doch selbst wenn Tag gewesen wäre, so hätte man trotzdem kaum die Sonne gesehen; so dicht standen die Wolken am Himmel. Kein Stern war zu sehen, kein Lichtstrahl des Mondes schaffte es, sich seinen Weg durch die Wolken zu erkämpfen.
Sie lag in ihrem Bett. Die Beine gerade ausgestreckt, den Blick zur Balkontür hingewandt, hinausschauend, das Spektakel betrachtend. Die Arme lagen energielos verschlungen auf ihrer Brust. Zuvor hatte sie versucht sich selbst zu umarmen, es aber nicht geschafft, die nötige Kraft aufzubringen, und nun hatte sie nicht einmal die Energie, ihre Arme wieder neben sich zu legen. Sie war gelähmt, bewegungslos, wie tot.
„Die Welt ist ein vernichtender Ort“, dachte sie.
Die Gedanken in ihrem Kopf drehten sich, kreisten umher und waren so schnell, dass sie nicht fähig war, auch nur einen davon einzufangen oder sich mit einem zu beschäftigen. Sobald sie versuchte, das Chaos in ihrem Kopf zu sortieren, die Gedanken zu ordnen; sobald sie nach einem griff, schien ihr Kopf leer. So als greife sie in ein Phantom. Aber sobald sie sich nicht mehr konzentrierte, kehrten die Gedanken zurück, wirbelten umher, machten ihr Angst.
Das Trommeln der Regentropfen klang ein bisschen wie ein Klavier, nach Rhythmus und Ton. Das Pfeifen des Windes wie eine Violine, so sanft, so ziehend. Sie lauschte, lauschte wie sich die Geräusche in Töne streckten und kürzten. Sie lauschte den Höhen und den Tiefen der Tropfen, die vom Himmel fielen. Lauschte ihren eigenen Höhen und Tiefen. Lauschte den Höhen und Tiefen des Lebens.
Langsam begann eine Melodie in ihrem Kopf zu spielen. Die Melodie des Regens, des Lebens, ihres Lebens. Klavier und Violine, und ihre Finger begannen zu zucken, zum Takt. Sie bewegte sich leicht zu dem Klang. Plötzlich war es ganz einfach sich zu bewegen. Sie sprang aus dem Bett, tanzte und drehte sich im Rhythmus zu den Noten; wirbelte mit ihnen durch die Luft.
Öffnete die Balkontür und trat hinaus.
Sie fühlte die Tropfen auf ihrer Haut, sah die Tropfen, fühlte die Musik, die Noten in ihr, sah die Musik. Sie sah alles. Ihr Körper kribbelte, ihr Herz schlug schnell. Die Welt war berauschend. Sie sah alles, verstand alles. Stieg auf die Brüstung der Veranda. Sie sah die Musik im Himmel, überall, vor ihr; sah die Musik tanzen, die Noten, die Töne, wie die Tropfen in die Tiefe stürzten, mit den Tönen, wie sie fielen und flogen, wie sie aufschlugen und auf ihrer Haut kribbelten.
Sie wollte mitfliegen.
Sie drehte sich, balancierte, sprang in die Luft, rutschte und fiel.
Fiel dem Boden entgegen, flog mit den Tropfen, wirbelte durch die Luft; hörte, sah und fühlte die Musik. Und traf am Boden auf.
Schwarz, alles so unendlich schwarz.
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