Birne mit Maulkorb
Birne mit Maulkorb
1.
Auf einem Schaufenstervorsprung sitze ich. Es ist lichter Tag. Ich warte auf die Straßenbahn, sitzend vor einem Waschsalon und hinter der Scheibe stapelweise Säcke Pulver. Ich sitze dort mit einer Maske im Gesicht. Die sieht aus wie eine Mullbinde. Wie für einen Verletzten. Hinter meinem Rücken, hinter dem Glas stapeln sich die Waschpulverkörner wie falscher Schnee und ich warte auf die Straßenbahn, riechend wie sauber es ist. Hinter dem Glas. Durch die Maske hindurch und während ich daran denke wie sauber es wäre sich hineinzulegen, sitze ich auf einem Vorsprung wohl in Hundeurin. In Hundeurin.
2.
Die Maske vor meinem Mund ist wie für einen Verletzten. Nur ich trage sie. In der Straßenbahn, im Bett, im Schwimmbad. Ich trage die Mullbinde die weiß ist wie falscher Schnee. Die anderen Leute nicht. Die Straßenbahn ist ein großer Wurm und wühlt den Teer auf. Jeder sitzt auf seinem Platz, jeder mit seinem Hosenboden. Mein Hosenboden mit wohl Hundeurin und vorher ein Hosenboden mit wohl Waschpulver und daneben ein Hosenboden mit wohl Erde und zerdrückten Ameisen.
3.
Durch das Glas, fahrend, sehe ich hinter Glas ein Kleid voller purpurner Birnen. Es ist ein lichtweißer Tag. Um mich erzählen alle von sich. Ihr Mund ist ihnen nicht intim. Oder sie beißen in etwas. In Birnen. In Brot. Hunde in ihren Maulkorb. Niemand weiß, was mein Mund macht. Nur ich weiß ihn wie einen Fischmund Blasen machen. Spuckeblasen. Oder gar nichts tun. Mit Waschpulver möchte ich ihn spülen, diesen Mund. Die anderen zeigen ihr Gebiss wie ihre Augenfarbe. Beißen, beißen, beißen. Jeder in seinen Maulkorb.
4.
Ich beiße nicht. Mein Maulkorb ist wie eine Mullbinde für einen Verletzten. Was man nicht alles erfährt in der Straßenbahn, von reihenweise reinweißen Reihen Weiß. Hinter meiner Mullbinde nicht, der Mund ist eine Wunde und tränt durch Spuckeblasen. Auf einem Straßenbahnsitz dünsten beinahe alle Einheiten der Stadt. Hinterm Glas, im Waschpulversack, in den Mündern der anderen: Reihenweise reinweiße Reihen Weiß. Ob irgendjemand einmal dieses Kleid kaufen wird?
5.
Ich gehe nach Hause. Jeden Tag. Straßenbahn. Haus. Straßenbahn. Haus. Manchmal möchte ich einen Hund. Einen, gemischt aus allen Rassen die es gibt. Und wie ich trüge er seinen Maulkorb in der Straßenbahn, im Hundekorb, im Schwimmbad. Ich fütterte ihn mit purpurnen Birnen. Wir brächen in den Waschsalon ein. Eines morgens fänden sie uns im Waschpulverkörnermeer. Reinweiß sauber, zahnlos, den Mund voll falschem Schnee. Nur bin ich schon immer unmutig gewesen und belasse es bei Spuckeblasen.
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