Bitteschön
Amar steht in der Straßenbahn.
Zwei ältere Frauen steigen ein und setzen sich auf eine Bank neben ihm. Sie greifen nach einer Heute-Zeitung, die auf einem der Sitze liegt, und beginnen gemeinsam darin zu blättern.
Bald schnaubt die eine empört auf, die andere schüttelt mit unmutigem Blick den Kopf.
„Eine Zumutung ist das! Was sollen wir mit den ganzen Ausländern? Lassen sich in unserem schönen Österreich nieder und nehmen uns alles weg, was wir uns hart erarbeitet haben!“
Amar schaut missmutig auf den Boden, er will keine Aufmerksamkeit erregen, auch wenn ihm schon oft gesagt wurde, man könne ihn optisch kaum von einem Österreicher unterscheiden.
„Recht hast du! Ich vermute ja, dass die alle nur zu feig sind, sich dem Krieg in ihrem Land zu stellen und uns jetzt mutwillig ausbeuten. Hier lassen sie es sich gutgehen, und das auf unsere Kosten!“
Amar schluckt.
„Feig“.
Das Wort bohrt sich durch seine Brust, hallt in seinen Ohren wider, durchfährt seinen ganzen Körper und lässt ihn dann entmutigt fallen.
Er denkt an seine Flucht aus Afghanistan nach Österreich, Bilder schießen durch seinen Kopf. Er schließt die Augen und befindet sich kurz wieder in der Türkei, wo er all seinen Mut zusammennahm und mit seiner Familie in ein überfülltes Gummiboot stieg, obwohl er genau wusste, dass dieser Schritt vielleicht sein letzter sein würde, dass er, wenn alles nach Plan läuft, in einem wildfremden Land ankommen würde und dass er sich ohne Geld und ohne eine europäische Sprache zu beherrschen dort ein neues Leben aufbauen müsste.
Die Straßenbahn bleibt ruckartig stehen und reißt Amar aus seinen Gedanken. Schwermütig öffnet er die Augen und atmet tief durch. Die Damen reden weiter.
„Diese Flüchtlinge, die müssten uns gegenüber viel mehr Demut zeigen. Ich mein, das ist ja nix Selbstverständliches, dass wir die bei uns dulden!“
„Find ich auch. Benehmen sich wie Tiere, aber erwarten von uns Freundlichkei- ach geh!“
Der Dame ist ein Lippenstift aus der Handtasche gefallen und gegen Amars Fuß gerollt. Er hebt ihn auf und gibt ihn der Frau zurück.
„Ach wie nett von dir! Schau Erna, ein paar höfliche Jugendliche gibt es ja doch noch! Davon sollten sich diese Ausländerkinder eine Scheibe abschneiden…“
„Tashakor“, sagt Amar und steigt aus.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX
Ihre Spende ist steuerlich absetzbar!
Spendenbegünstigung gemäß § 4a Abs. 4 EStG 1988; Registrierungsnummer KK32646
Weitere Antworten rund um die Spendenabsetzbarkeit für Privatpersonen und Unternehmen
