Blicke
Ich bin eine liebenswürdige Person. Das hat er eben an mich gesehen. Unsere Worte hatten sich zu spät geeinigt, dass es um eine Liebesgeschichte geht. Wir sprechen uns nicht mehr. Hatten wir denn das schon getan? Unsere Blicke treffen sich nicht mehr mit der gewöhnlichen Liebenswürdigkeit.
Jetzt ist Stille und die Agonie deines liebevollen Herzens kann ich spüren, obwohl du zehn Meter von mir entfernt bist.
Ich bleibe im stillen Regen stehen und hätte gewünscht, nie in deine tiefen Augen zu schauen. Ich wünschte, ich hätte die Hoffnung nie aufgeben müssen, dein Sein kennenzulernen. Jedoch hoffe ich noch.
Es regnet und die Bäume tanzen friedlich während der schnelle Nebel die Hügel, Wälder, den Park und die geparkten Autos bedeckt. Ich bleibe allein inmitten des Nebels und seine dunkelblauen Augen, die ich dachte, seien schwarz, wie meine, schauen mich stumm an. Ich fühlte mich wie von ihnen eingefroren und bleibe für eine Weile stehen. Dann laufe ich weg. Weg von ihm. Was hatte ich denn vor? Alles, nur seinetwegen. Alles, nur weil seine Gestalt, sein Gesicht, sein Grübchen auf der linken Wange eine Freude in mir auslösten, die freisetzend in meinem Körper wirkten.
Ich suche seine Blicke wieder. Doch er schaut nicht hinzu. Er hat’s schon vergessen. Oder gar nicht gewusst? Ich bin enttäuscht, obwohl erleichtert. Ich fühle mich allein, aber vielleicht doch erfreut? Er geht bald. Ich bleibe. Unsere Liebe war voller Blicke. Denn die Worte hatten sich nicht lieben wollen.
Ich malte ein Bild von dir, aus meinen Erinnerungen und presste es an meiner Brust. Ich Lachte laut, aus vollen Herzen, als ich wusste, was dein Name war. Dein Blick, der den meinen ähnelt, die Vermutung deiner Vernunft, deines Charakters, hielten mich am Lachen. Lieber S. , hättest du mir in diesem Augenblicke begegnet!
Er schaut in meine dunkeln Augen. Ich schaue in seinen. Er schaut nicht weg. Sie sagen die Wahrheit. Ich hatte seinen Blick und seine Liebe. Für einen Augenblick.
Sein Grübchen war hervorgehobener als je. Der See war blau, der gnädige Himmel über uns war auch blau und, als ich meine Augen schloss, seine warmen, feinen Lippen auf die meinen fühlte, färbte sich alles um mich dunkelblau.
Bin ich bereit?
Es ist acht Uhr nachts. Das Training ist aus. Der Nebel entzieht sich und der Herbsttag macht sich bemerkbar. Der Regen fühlt sich wie stechende Nadeln auf meinem Nacken an. Es ist dunkel, ich zittere und meine Lippen färben sich lila an. Ich puste in meinen eingefrorenen Fäustchen, hole das Handy aus dem Sportranzen heraus und rufe meine Mutter an, um mich vom Parkplatz abzuholen.
„Wo bist du?“.
„Wer bist du?“, fragt er mich.
Er hatte mich zu einer liebenswürdigen Person gemacht. Ich schaue auf die Straßen, den Sportplatz, das Schulgelände, in Autos und auf Fahrräder und finde ihn überall wieder. Er weiß nicht, wer ich bin. Er geht jetzt. Alles, was wir hatten, waren Blicke. Augenblicke.
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