Blindheit, Gemeinheit, Mut
Die Tore des Kindergartens kommen ihm unheimlich groß, die Straße unglaublich breit und die Betreuer extrem riesig vor. Eine Menge von Kindern tummelt sich auf dem Gelände. Alles sehr furchteinflößend und es raubt ihm allein beim Anblick des Kindergartens den Mut. Dennoch kommt Emil jeden Tag hierher, während seine Eltern arbeiten. Nun ja, für ihn ist es nicht schwer in den Kindergarten zu gehen, aber für seinen Freund Jonas stellt das jeden Tag aufs Neue eine Herausforderung dar. Denn Jonas kann nichts sehen, er ist blind. Das ist für die Kinder in seiner Gruppe natürlich Nahrung, um ihn immer wieder zu hänseln und ihn zu beleidigen. Emil passt das gar nicht. Deshalb platzt ihm eines Tages der Kragen, er nimmt all seinen Mut zusammen und trotzt den Fieslingen.
Als er gerade durch den Eingang marschiert, hört er wie die Kinder wieder einmal über Jonas lästern: „Geh nach Hause, Jonas, ach ja, du findest ja alleine nicht heim. Ein anderes Kind sagt: Wir brauchen hier keinen Blinden.“
Da geht Emil zu seinem Freund, muntert ihn auf und schon kommen auch gegen ihn die Attacken. „Ihr wisst doch gar nicht, was ihr da sagt. Ihr könnt es euch gar nicht vorstellen, wie es ist blind zu sein. Und nur weil jemand nicht sehen kann, heißt es nicht, dass er euch nicht hören kann. Denn er hört es, wenn ihr sagt, na Emil, geh mit deinem imaginären Freund spielen oder geh nach Hause, obwohl, dort findest du alleine ja gar nicht hin. Sowas gehört sich einfach nicht. Aber wisst ihr was? Bei euch wäre es mir auch lieber, euch nicht jeden Tag sehen zu müssen.“ Doch bekommt die Betreuerin Emils Wutausbruch mit und winkt ihn zu sich.
„Das war äußerst mutig von dir, dich für deinen Freund einzusetzen. Du hast recht, Emil, keiner kann sich vorstellen, wie es ist blind zu sein, deswegen werden wir morgen ein Projekt starten. Jeder von euch bekommt für eine Stunde eine Augenbinde aufgesetzt, damit er sieht, wie es ist, nichts sehen zu können, und dann sehen wir mal, ob die Jungs immer noch so gemein sind. Jedoch bitte ich dich, Emil, entschuldige dich für deinen Wutausbruch bei ihnen, denn auch wenn du im Recht bist, darfst du nicht so herumschreien.“ Voller Stolz grinst Emil von einem Ohr bis zum anderen. Hochmütig geht er zu den anderen hin und entschuldigt sich. Daraufhin fragt Jonas ihn, warum er sich entschuldigt habe und bedankt sich bei ihm für seinen Einsatz. So erklärt Emil ihm, was die Betreuerin zu ihm gesagt hat. Als Jonas das erfährt, kann er sich nicht mehr halten und macht einen Freudensprung. Er ist überglücklich, dass nun die anderen für eine Stunde lang in seiner Haut stecken und er ist froh so einen Freund wie Emil zu haben. So eine Freund findet man nur ein Mal im Leben.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX