Blütendunst
Sie presste die Blütenblätter fest zwischen ihren Fingern zusammen. Knisternd zerfielen sie zu feinem Staub - benetzten ihre blasse Haut. Ihr Blick war zur Decke gerichtet. Keinen einzigen Herzschlag schien sie bereit zu sein, die brennenden Augen zu senken. Stoßweise entwich ihr Atem über die zitternden Lippen; tagelang hatte sie gewartet, tagelang war sie der unendlich währenden Stille ausgesetzt, die immer schwerer auf ihren zerbröselnden Knochen lastete. Sie zupfte ein weiteres Blatt vom Kelch der Rose zu ihrer Linken, die seit Wochen nach Wasser dürstend ihren Kopf zu ihr wandte. Wieder zerrieb sie das lispelnde Rot und betrachtete, wie der duftende Schimmer sich auf ihre Brust legte. Sie zählte, wie oft es der Luft gelang, in ihre Lungen zu strömen; sich fragend, wie viele Male es noch sein würden. Versucht hielt sie die Luft an. Rauchend säumten Schatten ihr Äußeres Sichtfeld und streckten ihr ihre lockenden Hände entgegen, als wollten sie sie beruhigen und dann zu sich in die niemals endende Schwärze ziehen. Kraftlos krallte sie sich in das nasse Lacken ihres Bettes und stemmte sich dagegen. Plötzlich wollte sie nicht gehen, plötzlich wollte sie noch weiteratmen. Sie schnappte keuchend nach Luft, die in schmerzenden Schnitten in die zerfallende Lunge fielen. Zischend verzog sie das Gesicht, zwang sich zwischen zusammengebissenen Zähnen zu atmen, obgleich jede Zelle ihres Körpers sie kreischend verfluchte. Zitternd streckte sie die Hand wieder nach der Rose aus, pflückte das vorletzte, kostbare Blatt. Es fühlte sich samten zwischen den zerschundenen Spitzen ihrer Finger an. Wieder begann sie in aller Entschlossenheit den Staub auf ihren nackten Körper regnen zu lassen. Er bedeckte die entstellenden Male, die spitzen, hervorstehenden Knochen, die sich schwarz unter der hauchdünnen Haut abzeichneten. Sie fuhr über die trockene Haut ihrer Hüfte, um das Feste des inneren Gerüsts zu spüren. Ihr Bewusstsein zerfloss vor ihren Augen, entblößte die Gewissheit des Endes. Sie schloss ihre Lider. Ein letztes Mal streckte sich ihr Arm, ließ die Finger in schwindender Anstrengung den dornenlosen Stiel hinauf zum letzten, welken Rosenblatt tasten. Wimmernd riss sie es ab und öffnete ihre Augen. Ihr weichendes Licht richtete sich auf das bebende Rot. Nie könnte sie sich sattsehen, nie den Durst nach dem Duft der entsterbenden Blume stillen. Zärtlich zerrieb sie es und betrachtete in stillem Entzücken wie sich der Blütendunst erhob. Leise rauschend umwehte sie der süße Staub; berührte in kühlen Strömen die reißende Haut. Die Sorgen ihres Körpers wurden mit dem Wind der Rosen fortgetragen. Sie reckte ihr Gesicht im lindernden Genuss dem Rausch entgegen, folgte mit kindlichen Augen den leuchtenden Partikeln. Sie spürte wie ihre Gliedmaßen sich entspannten, auflösend der Erleichterung hingebend. Honigsüß schmeckte sie die Luft, die in flüsterndem Gekicher ihre Seele empfing und mit dem sanften Sturm des Blütendunsts hinwegtrug.
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