Bodega mit Hypokaust
Akribisch – so würde er die Klofrau vom Yppenplatz beschreiben. Integer – so ihre Arbeitsweise. Einen Euro für die Kabinen verlangt sie, Urinale gratis. Nicht unbedingt im Sinne der Gleichberechtigung, aber so hat sie es gelernt. Alte Schule. Schon lange hat ihn die Klofrau vom Yppenplatz sehr geschätzt, inzwischen verehrt auch er sie kultisch. Eine Klofrau fürs Leben.
Dabei war sie ihm nicht immer so zugetan. Im Gegenteil, es gab Zeiten, da mied man ihn bezirksweit. Nachdem er in seiner Bawag-Filiale Mindestpensionisten um ihr Spargeschenk gebracht hatte, hatte man ihn regelrecht verachtet. Da musste er weg, weit weg. Machte eine Flusskreuzfahrt nach Novi-Sad, lernte die Frau seines Lebens kennen, dann Blitzscheidung in Bratislava, als lediger Mann retour gen Krems. Ruiniert.
Nun besucht er sie regelmäßig, gibt stets den nötigen Talon, sie wärmt ihm mit einem Heizpilz seine Kabine vor. Tür 9. Mit einem Rollwagerl verteilt sie Alkoholika an ausgewählte WC-Gäste. Hier muss man Zeit mitbringen. Wermut, Calvados, Asbach. Etwas für Genießer. Gelegentlich nehmen Touristen diesen Service in Anspruch, gönnen sich einen Crémant. Der Klofrau soll es recht sein – das schönt die Bilanzen.
So sitzt er eines Montags am Stammplatz, schlürft einen Bollinger – ein Chilene hat einen ausgegeben. Die Klofrau legt sanften Ambros auf und allgemeine Entspannung macht sich breit, da schiebt man ihm seitlich unten ein Immobilienangebot durch. Vor der Kabine stellt sich ihm ein Eisbärenpelzträger vor. Foco Hogelstein.
Die beiden schwafeln kurz über Gott und die Welt, Hogelstein erwähnt persönliche Krisen. Die Klofrau wirft die beiden freundlich, aber bestimmt raus – „ein Scheißhaus ist kein Konferenzzimmer.“ Die Herren zeigen Verständnis. Ecke Yppenplatz parkt Hogelstein seinen Mustang, lädt ihn spontan zu einer Hausbesichtigung ein. Er ist sehr interessiert. Er sucht seit Wochen eine Bleibe.
Früher wohnte er lange in Bruckneudorf, vis-a-vis vom Kriegerdenkmal. Diese Zeiten sind vorbei. Nach Stänkereien und wöchentlichen Anrufen bei der STRABAG, wann endlich die Straßenspange fertig wäre, kam der Bürgermeister mit zwei Gemeinderäten vorbei und erklärte ihm, er sei in Bruckneudorf nicht mehr erwünscht. Das galt in weiterer Folge auch für Bruck an der Leitha, Göttlesbrunn und Stixneusiedl. Gemeindeverbot.
„Höchst ungerecht“, befindet Hogelstein, während die beiden Richtung Westen fahren, „eine regelrechte Sauerei.“ Während der Fahrt bemerkt er, wie geräumig der Mustang eigentlich ist. Innen schön weiß – Crémekonfiguration. Hogelstein hält vor einem senfgelben Bauernhaus, ein alter Vierseithof. Elegant renoviert, mit Glaseingang und Mosaik.
„3 Mosaizisten haben acht Wochen lang dieses Fresko gelegt – eine tschechische Bauernsage.“ Er kommt nicht recht mit, Hogelstein weist nach innen. Geschäftiges Treiben auf den Gängen und weitere Eisbärenpelzträger lassen ihn kalt, er lauscht hochkonzentriert Hogelsteins Worten. Seine geistige Lähmung nervt ihn, er möchte sich vor Hogelstein beweisen – intellektuell wie menschlich. Die beiden betreten eine Kellertreppe – „nun der Höhepunkt.“
Die Bodega.
Ein Chrysanthemenstrauch markiert den Eingang zum Kellergewölbe. Die Bodega ist schmucklos, hat ein kleines Deckenfenster zum Kanal nach oben hin und ist entgegen seiner Erwartung durchaus zimmerwarm. „Die Bodega hat einen Hypokaust“, weist Hogelstein auf den Laminatboden. „Die besonders schweren Weine lagern im Winkel, die haben Kabinettqualität“, zeigt Hogelstein ins hinterste Eck der Kammer. Er ist so mit den schweren Rotweinen beschäftigt, dass er nicht merkt, wie Hogelstein die Bodegatür von außen verriegelt.
Er war eine Art Weinkenner. Hatte immer gute Empfehlungen abgegeben, an Kollegen oder Bekannte. Gabrieles Bruder, sprich sein erster Ex-Schwager, hatte ihn immer für sein rebkundiges Näschen gelobt. Er vertrug auch einiges. Einst hatte er nach zwei Gläsern passen müssen, doch Erfahrung und Training ermöglichten ihm bald mehr. Er spürte nichts. Nur die Bodega erschien ihm zu warm.
„Ideal, die Bodega, gell?“, fragt Hogelstein dumpf durch die Türfuge. Er ist skeptisch und fragt nach den Heizkosten für den Hypokaust. „Keine Sorge, alles gedeckt. Zahlt die Kasse.“ Er ist durstig und hungrig, hat leichtes Kopfweh – der Hypokaust heizt ihm zu kräftig. „Ich gehe dann, viel Vergnügen noch mit der Bodega“, klingt zu ihm durch. Er protestiert, möchte raus, Hogelstein lehnt ab. „Bis zur Entlassung müssen noch viele Liter die Donau hinabfließen.“
Schon einen Monat wartet er in der Bodega, die Tage werden länger, er verliert jegliches Zeitgefühl. Nach zwei ausgebliebenen Rasuren bemerkt er eines Morgens, dass die Bodegatür mit Weichgummi bespannt ist. Draußen sind Schritte zu hören, Hogelsteins Stimme tröpfelt zu ihm durch. Die schweren Rotweine sind längst leer, aus den Flaschen hat er sich ein Piano gebastelt. Dudelt sanft die Wassermusik.
Eines Tages Besuch. Hogelstein schiebt die Türe einen Spalt weit auf, er aber ist zu träge, um aufzuspringen. Die Klofrau vom Yppenplatz rollt herein, mit ihrem Wagerl. „Zehn Minuten, gell.“ – Hogelstein nimmt die Zeit mit einer Sanduhr. Er weiß nicht, was er sagen soll. Die Klofrau schweigt zurück und stellt ihm einen Averna hin. Gierig schlürft er ihn leer, beginnt sich wohler zu fühlen. Kann die Beine wieder spüren, den Kopf drehen. Wieder denken.
Er lebte längst in seiner eigenen Welt. War wohl Alkoholiker. Fing mit Weinleserunden an, endete im Exitus in einem Postbus. Daher das Betretungsverbot. Auch die Frauen wandten sich ab, er brachte es nicht mehr – weder die nötige Liebe, noch das Andere. Am Ende tat er gar nichts mehr. Bekam auch wenig mit. Hätte beispielsweise einen Hund kaum noch von einer Katze unterscheiden können. Oder eine Bodega von einer Gummizelle.
Die Klofrau geht nach zehn Minuten, lässt ihn allein. Draußen wartet Hogelstein. Er lauscht Wortfetzen, versteht aber nichts. „Danke, Doktor Hogelstein.“ Die Klofrau schlurft, als sie zum Ausgang des Sanatoriums geht. Draußen eine Tschick. Unauffällig ascht sie in den Kanal, direkt in seine Augen. Er ist benebelt. „Bis bald, mein Sohn.“ Dann geht sie. Zurück zum Yppenplatz.
Er verbleibt beim Abstinenzberater.
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