Brücken einreißen
Wann ist es Zeit für einen Neuanfang? Ab wann ist das Einreißen von Brücken gerechtfertigt?
Uns wird beigebracht, dass ein Kompromiss das höchste Gut ist. Man soll nachgeben- vergeben. Aber wie lange kann man sich selber minimieren, um anderen Platz zu machen? Gibt es eine Reihenfolge, die festlegt, wann wer von uns am Zug ist? Wann darf ich endlich aus dem Schatten der anderen treten? Wann bin ich an der Reihe, zu sprechen? Manchmal kommt es mir so vor, als würde jeder diese Reihenfolge kennen. Das göttliche Gesetz, wann wer handeln darf. Jeder außer mir.
„Andere Menschen haben richtige Probleme.“
Ja das weiß ich. Ich bin nicht dumm. Meine Probleme wirken im Vergleich zu den Problemen anderer kindisch und unbedeutend. Sie leiden unter Hunger, Krieg und Durst, Krankheit und der Angst vor dem Tod. Meine Angst ist zwar weniger bedeutend, aber dennoch existent. Vielleicht kein „Erwachsenen-Problem“ oder ein „wirkliches“, wie ihr es nennt, aber trotzdem da.
Also frage ich dich noch einmal: Wie viel muss ein Mensch erdulden, bis er die Brücken einreißen darf? Wir müssen Brücken bauen und Freundschaften schließen. Wann kann ich endlich neu anfangen? Meine Fehler wiedergutmachen, die Zeit zurückdrehen, von vorne anfangen? Wann darf ich mich von Altbekanntem lösen und nach neuem Land suchen? Brücken bauen ist schön und gut, aber wenn ich einen neuen Ort für einen neuen Start finden will, dann muss ich wohl oder übel die Brücken, die mich mit dem alten Festland verbinden, kaputtschlagen. Sie hängen wie Ketten an mir und halten mich davon ab, weiterzukommen.
Für Eindringlinge waren die Brücken ein Weg in mein verletzliches Herz - so wie für dich. Dir könne ich vertrauen, du würdest mich beschützen. Und jetzt bist du der Grund, warum ich einen Neuanfang brauche. Er ist eine letzte Rettungsleine für mich geworden.
Freundschaft. Unsere Freundschaft würde für immer halten. Wir zwei gegen den Rest der Welt. Du hast den Rest der Welt ausgesperrt und jetzt kann mich niemand weinen hören und niemand hört meine Schreie, wenn ihr mich schlagt. Ich darf nicht sprechen, nicht nach Hilfe rufen, hast du gesagt, aber ich habe es dennoch getan.
„Da gehören immer zwei dazu… Kinderstreitigkeiten“, meinen die Personen, deren Aufgabe es wäre, mich zu beschützen.
„Kinder streiten sich schon mal. Das ist kein Mobbing.“ So etwas sagt sich leichter, als tatsächlich zu handeln, zu helfen.
„Schule wechseln ist feige. Das beruhigt sich schon wieder.“
Jetzt sind schon sechs Jahre vergangen und es lässt mich immer noch nicht los. Egal wie sehr ich probiert habe, das Erlebte abzuschütteln. Dieser Geist hängt immer noch über mir. Er ist das, was geblieben ist von unserer Freundschaft. Das passiert, wenn man Brücken kaputtschlägt.
Eineinhalb Jahre waren es.
540 Tage, 12 960 Stunden Angst. Angst vor dir. Vor euch. Vor der Welt.
Wann ist es Zeit für einen Neuanfang? Wenn ich es sage.
Wann bin ich an der Reihe, zu sprechen? Genau jetzt.
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