Brief an die Muttervon Severin Weh
Liebste Mutter,
Es war mir, als dass wir letzten Samstag, als wir Kuchen aßen, nicht zu Ende sprechen konnten. Denn als wir sprachen, als wir Kuchen aßen, kamst Du mir abwesend vor. Das Ende unseres Gesprächs war, als wir Kuchen aßen und das Stück Kuchen, das noch auf dem Service stand, zur Seite fiel, die Sauerkirsche auf der Sahnehaube, leicht nach links gerutscht, auf den kleinen Silberlöffel fiel, welcher die Dose mit dem Zucker, denn Du magst Zucker doch so gerne, umstieß, worauf der Inhalt der Zuckerdose sich auf die Bluse der Schwester verteilte, welche in Aufregung die Kanne mit dem von dir so liebevoll zubereiteten Hibiskustee umstieß, der sich darauf dampfend über das letzte Stück Kuchen ergoss, welches zu einer Pfütze aus Sahne und Himbeermarmelade zusammenfloss.
Wir hatten am anderen Tag, bei Tee und Schokolade, aber nur die bittere, denn die süße bekommt dir nicht, über das Ding vor und nach uns gesprochen. Wir waren, vertieft in das Gespräch, nur gestört durch das Klingeln der Tür, dass Du mit der linken Hand, während Du den kleinen Finger von Dir gestreckt, als verpönte Störung der Teepause, mit einem Wedeln der Finger als für uns ignorierpflichtig abwandst, als Du bemerktest, die Dinge vor uns seien eigentlich die Dinge hinter uns, da wir nicht bemerkten, das hinten und vorne, im Kreis des Lebens, an derselben Stelle liegen würden. Ich meinte aber, während meine Augen zwischen der Tür und dem gedeckten Tisch hin und her zuckten, hatte die Schwester doch sich selbst die Erlaubnis erteilt, die Tür zu öffnen, so dass es dem Menschen, der die Frechheit besaß unangekündigt Visite zu machen, gelang, den Fuß zwischen Tür und Angel zu stemmen und in einem unangenehmen Ton von Dir, Mutter, verlangte, von Dir Eintritt gewährt zu bekommen, obwohl er doch schon in unserer Wohnung stand, dass wir alle einem Ziel entgegen gehen und dieses Ziel, sich nicht an Ort und Stelle befände, wo wir einst begonnen hatten. Du meintest daufhin, bedacht den Gast nicht willkommen zu heißen und unter lautem Zeter und Geschrei, wobei sowohl Du, als auch er damit drohte, die Polizei zu verständigen, hingegen Du ihm aber kurzer Hand, mit einem Tritt deines linken Fußes, die Tür vor der Nase zuschlagen wolltest, was dir auch gelang, dass Anfang und Ende zwar auf gleicher Stelle, aber nicht auf gleicher Höhe seien und das Leben den Höhenunterschied zwischen Geburt und Tod symbolisiere.
Weiter kamen wir letzten Samstag, als wir Kuchen aßen, nicht. Aber ich erinnere mich, du gabst mir am Sonntagmorgen einen Glückskeks, in welchem stand: „Vielleicht gibt es keine idealen Ziele, aber mit Mut kann man sein eigenes Ziel schaffen.“
Im übrigen, Vater lässt Dich herzlich grüßen und fragen, wieso du ihm am Freitagabend, als wir Tee und Schokolade hatten, so rüde die Türe vor der Nase zuschlugst.
Alles Liebe,
Dein Sohn
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:


















Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX