Champagnerkorken
Er hatte noch nie jemanden umgebracht.
Es war durchaus kein berauschendes Gefühl gewesen, auch kein herzzerreißend schlechtes, kein genugtuendes, kein widerstrebendes, noch war es in irgendeiner Weise bedacht gewesen. Seine Gedanken sollten erst spät an diesem Abend wieder Sinn ergeben. Zu spät.
Reden wolltest du, hattest du gesagt. Ach, wie oft du das schon gesagt hast. Jedes Mal hatte sich sein Herzschlag vor Angst verschnellert, wie der eines Rehs, das vor der Flinte eines Jägers steht. Vor dir hatte er noch nie eine solche Furcht davor gehabt, alles zu verlieren. Dich. Für ihn warst du dieses eine unwirkliche Wort, das es nur in Filmen zu geben schien. Die Eine. Du tatest so, als wüsstest du es nicht. Er hasste dich dafür. Du musstest bleiben.
Heute standest du also vor seiner Tür, deine Haare nass vom Regen. Er wusste, dass du mal wieder deinen Regenschirm vergessen hattest, wie so oft schon. Du sagtest, du würdest es vorziehen, den Mantel anzulassen, es sei kalt. Er bat dir an, euch etwas zu trinken zu holen. Champagner. Dein Lieblingsgetränk. Du hattest schon immer einen Sinn für Luxus. Doch heute rührtest du die Kristallgläser seiner Großmutter nicht einmal an. Das Flackern in deinen Augen hatte eine gewisse Überzeugung, eine Zielstrebigkeit, trotzdem schwang etwas Mitleid in deiner Stimme mit, als du leise sagtest: „Es ist aus.“ Die Worte erreichten ihn ganze zehn schweigsame Sekunden zu spät. „Nein.“ Mehr konnten seine Lippen von alldem, was in seinem Gehirn vorging, nicht übermitteln. Tränen bahnten sich ihren Weg über deine Wangen und du wischtest dir mit dem Handrücken über das Gesicht, verteiltest deinen Lippenstift überall.
Mit einem Mal kamst du ihm so falsch vor. All diese Gefühle, alle nicht echt. Keine Liebe, kein Lachen, keine Freude, keine Trauer. Keine Tränen. Oh, welch falsche Tränen.
Er griff sich den Champagnerkorken, der auf dem Tisch lag und stopfte ihn dir so tief in den Mund hinein, dass du nicht mehr ein einziges, kleines, enttäuschendes Sterbenswörtchen von dir geben konntest. Tief, tief hinein in den Rachen, bis er im Kehlkopf stecken blieb. Du fielst sofort nach hinten um, du hattest dich nicht ein einziges Mal zu wehren versucht.
Er hatte noch nie jemanden umgebracht.
Der Blick in deinen braunen, reglosen Augen war unerträglich für ihn.
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