Connie hat Angst
Sie haben uns eine Zukunft versprochen.
Eine Welt in Frieden, eine offene Gesellschaft aus Individuellen.
Eine Welt in Ruhe, aber ohne Langeweile.
Ohne Arbeitslosigkeit.
Sichere Städte, sichere Straßen.
Sicher.
Sie haben versprochen, dass alles gut werden wird, und uns erklärt, dass wenn es nicht gut ist, dann ist es nicht das Ende.
Sie erzählten uns von anderen, die genau waren wie wir.
Kinder.
Nur mit einer Prise mehr Abenteuer.
Um ehrlich zu sein, habe ich die Abenteuer satt.
Ich habe mich vollgefressen an ihnen und an den Lügen, die uns jeden Abend aufgetischt worden sind.
Wenn ich im Wald unterwegs bin, denke ich nicht mehr an den 100-Morgen Wald-Bewohner, sondern denke an einen Artikel, was man bei Bärenattacken tun sollte; bei Schwarzbären wehren, bei Braunbären auf den Boden fallen und totstellen, es sei denn, ich will, dass das Blut aus meiner Kehle anstatt aus einem Honigtopf geschleckt wird.
Vielleicht ist es doch besser, wenn ich einfach zu Hause bleibe. Ich schaue fern. Es laufen die Teletubbies.
Ich liebte die Teletubbies. Oder ich habe sie zumindest mal geliebt, eigentlich, bis ich erfahren habe, dass die Kinder in Schächte sprangen oder sich den Bauch aufschnitten, um sich Bildschirme einzusetzen. Ich schalte den Fernseher aus.
Mein Handy vibriert. Meine Tante hat ein Bild geschickt. Meine kleine Cousine. Grinsend schaut sie in die Kamera, präsentiert ihr neuestes Pixie-Buch; Connie im Zug.
Connie, eine in Österreich und Deutschland bekannte Kinderbuchheldin. Sie gab es schon in meiner Kindheit. Ich frage mich, wie es wohl wäre, wenn sie jetzt auch 16 wäre. Was wären das für Abenteuer? Connie beim Gynäkologen? Connie beim Führerschein? Connie beim Selbstverteidigungs-Kurs? Connie in der S- Bahn, wo Männer auf ihren Ausschnitt oder Arsch schauen? Connie beim Psychologen wegen Depressionen, die ihr die Teenagerjahre geschenkt haben? Connie beim Drogenmissbrauch und Drogenentzug? Connies erstes Mal, das sie gar nicht mitbekommen hat, weil ihr Schlafmittel in den Drink geschüttet worden ist? Connie mit Essstörungen, weil sie sich mit ihren scheiß 56 Kilo als übergewichtig fühlt? Connie auf dem Strich, weil sie von ihren Eltern rausgekickt wurde? Connie völlig zugedröhnt auf einer Brücke, wo sie sich auf das Geländer stellt? Connies Beerdigung?
„Süß“ ist das Einzige, was ich schreibe.
Ich lege mich ins Bett, sinke in die Kissen ein, nehme mein Handy. Ich öffne Instagram. Fotos von perfekten Mädchen. Ein unangenehmes Gefühl im Bauch, ich weiß nicht, ob es an den Schuldgefühlen liegt oder am Hunger. Yazio ist die nächste App, die ich öffne. Ich habe nur 34 Kalorien, die ich heute noch essen darf. Aber der rote Balken, der die durch Sport verbrannten Kalorien anzeigt, ist viel schlimmer. Er hat sich heute fast gar nicht bewegt. Sonst ist er schon um 7 voll. Ich habe keine Energie dafür. Kopfhörer rein, Noisecancelling an, Musik auf 100%. „Solas“ ertönt. Es beginnt zu regnen. Meine Hände steigen langsam in die Luft, und ich male.
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