Cracked Smile
Rot. Er hasste diese Farbe. Er tauchte den dünnen Pinsel mit zittrigen Händen in die rote Schminke. Dann fing er an zu malen. Er zeichnete das schönste Lächeln auf seine Lippen. Gekonnt zauberte er immer mehr Farbe auf sein Gesicht, bis da nur noch dieses Lächeln war, diese schmierige, grässliche rote Fratze.
Rot. Der Deckel des Fläschchens war rot. Er öffnete ihn mit zittrigen Fingern, machte sich nicht mal mehr die Mühe, die kleinen Pillen zu zählen, sondern schluckte sie ohne Wasser einfach hinunter. „Happy Pills“ stand auf dem vergilbten Etikett der Flasche. Sein Lächeln blieb trotzdem unecht und aufgemalt. Langsam bewegte er sich aus seinem Wagon, in dem es furchtbar nach Speisefett und Einsamkeit stank. Mit schweren Schritten schleppte er sich zu dem blau-rot gestreiften Zelt.
„Zirkus Zukunftszauber - zaubert Ihnen auch in Zukunft ein Lächeln auf die Lippen“ Die Letter trieften vor Rost und Verlogenheit, doch das sahen die Menschen nicht, die mit ihren aufgeregten und neugierigen Kindern in der schier endlos scheinenden Schlange anstanden, um ihn lachen zu sehen.
Er betrat die Manege. Das Licht blendete ihn und er sah tausende Gesichter, die in dem Tumult zu einem verschwammen, einer riesigen Fratze mit einem breiten roten aufgemalten Grinsen im Gesicht. Der Mann zitterte. Der Schweiß brach ihm aus und kleine Tröpfchen bildeten sich auf seiner Stirn. Sein Herz raste und er bekam keine Luft mehr. Die Leute schrieen und klatschten, als er anfing, Bälle in die Luft zu werfen und wieder aufzufangen und Tücher aus seinem Ohr zu zaubern. Er ließ es geschehen, bebend und nach Luft lechzend, mit einem breiten roten Lächeln auf den Lippen.
Der Beifall fiel tosend aus. Er verbeugte sich und ging eilig aus dem Zelt, lies sich von seinen Füßen entführen, die ihn an Orte brachten, für die er eigentlich noch nicht bereit zu sein glaubte.
Der Baum war hoch und alt. Knorrige Äste erstreckten sich in den Himmel und wurden von Blättern eingerahmt. Von hier oben konnte man die ganze Stadt sehen. Die Häuser sahen lächerlich klein aus, mit ihren spitzen Dächern und den vereinzelt beleuchteten Fenstern.
Er nahm den Strick, begutachtete ihn und stieg schließlich auf den Schemel. Tief holte er Luft, bevor er sich die Schlinge um den Hals legte. Dann machte er einen Schritt nach vorne und alles um ihn wurde plötzlich von einem gähnenden schwarzen Loch verschluckt.
Der Regen platschte friedlich auf die Erde, verwischte seine letzten Fußabdrücke und wusch schließlich auch die rote Farbe von seinem bereits blauen, aufgedunsenen Gesicht. Die Lichter unter ihm schimmerten noch immer leicht rötlich, während sein lebloser Körper leicht vom Wind gewiegt wurde. Wenn man genauer hinsah, dann konnte man das Lächeln auf seinen blassen toten Lippen erkennen, ein Lächeln des Mutes und der Entschlossenheit, ein Lächeln, das zeigte, dass er die Hoffnung auf eine verzauberte Zukunft irgendwo anders noch nicht ganz aufgegeben hatte . . . ein echtes Lächeln.
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