Dann ging er
Seine warme Hand liegt ruhig auf ihrer Hüfte. Langsam hebt und senkt sich sein Brustkorb. Mit jedem Einatmen kann sie seine weiche Haut an ihrem Rücken spüren, mit jedem Ausatmen die kühle Luft des Raumes. In eine weiße, dicke Decke gehüllt liegen beide ineinander verschlungen im Bett. Sie lauscht dem rhythmischen Klopfen seines Herzens. Er ist alles, was sie sich in ihren Träumen ausgemalt hatte. Sie spürt die Nähe und die Geborgenheit, die sie sich immer schon gewünscht hat. Das Gefühl am richtigen Platz zu sein und jemanden vollkommen ergeben zu sein. Für ihn würde sie alles tun. Vorsichtig dreht sie sich um. Keinesfalls möchte sie ihn aufwecken und sein sanftes Schnarchen unterbrechen. Sie mustert seine Gesichtszüge, betrachtet seine außergewöhnliche Nase, die geschwungenen langen Wimpern und seine vollen Lippen. „Engelsgleich“ denkt sie sich. Langsam öffnen sich seine Augen und begegnen ihren. In seinem Blick findet sich keine Liebe oder Zärtlichkeit. Er nimmt die Hand von ihrer Hüfte. „Marco, was ist los?“, fragt sie besorgt. „Ich kann nicht mehr“, kommt niedergeschlagen zurück „Vier Monate habe ich es probiert. Ich habe alles gegeben, aber es war nie genug. Es funktioniert nicht“, fährt er fort. Ein bitterlicher Schluchzer durchbricht die Stille. „Ich weiß, dass vieles nicht so gelaufen ist, wie du es dir vorgestellt hast, aber ich möchte an mir arbeiten. Marco, ich liebe dich“, sagt sie. In ihrer Stimme ist die Verzweiflung kaum zu überhören. „Wir können das schaffen“, fügt sie an. Eine einzelne heiße Träne fließt über ihre Wange. Er wischt sie nicht weg. Es vergehen einige Sekunden. „Ist es aus?“, fragt sie. Er gibt ihr keine Antwort. Ihm schießen die Tränen in die Augen. „Es tut mir leid“, erklärt er. Kein Schmerz ist auch nur ansatzweise vergleichbar mit jenem, den sie gerade fühlt. „Es tut mir leid. Ich weiß nicht, ob ich dich überhaupt noch liebe. Es ist aus“, spricht er weiter. Beschützend verschränkt sie ihre Arme vor ihrem Rumpf. „Dann geh bitte“, fordert sie ihn auf. Ihre Worte sind aufgrund ihres heftigen Schluchzens nur schwer verständlich. Sie hört, wie er aufsteht und seine Schuhe anzieht. Seine Schritte entfernen sich, doch er bleibt stehen. Sie folgt ihm. Nur eine rote Unterhose und ein knappes T-Shirt bekleiden ihren Körper. Sie hofft, dass er zurückkommt, sie in den Arm nimmt und nie wieder loslässt. Er öffnet die Türe und sieht ein letztes Mal zurück. Dann geht er. Sie bleibt allein zurück, spürt die kalten Fliesen des Eingangsbereiches unter ihren nackten Füßen, und in ihr nichts als Leere.
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