Das Abyss
Alles ist schwarz. Ich kann meine Arme fühlen, meinen Schweiß schmecken, meine Haare raufen und meine Beine eines vor das andere setzen. Doch ich kann nichts sehen. Es ist, als ob ich in der Nacht herumwandere, doch es gibt keinen Mond, keine Sterne, nichts. Ich weiß nicht, seit wann ich hier bin, es könnten Tage, Monate, Jahre oder auch nur ein paar Minuten sein. Das Einzige, woran ich mich erinnere, ist, dass ich in einem Bett lag und um mich herum ein Tumult war. In der Zeit, in der ich hier bin, habe ich mich dazu entschieden, an das Schlimmste zu glauben: Ich bin gestorben. Und dies hier ist meine ganz persönliche Hölle. Ich wandere herum, als gäbe es einen Ausgang, als stünde irgendwo eine Tafel auf der steht: Hier geht es zum Paradies! Hier entlang! Ich erlaube mir nicht, die Hoffnung aufzugeben, obwohl ich das unbewusst schon getan habe. Es ist nicht einmal so, dass ich verhungere oder verdurste, mir ist nicht zu kalt oder zu warm, ich gehe einfach herum, ohne irgendeinen Lichtblick. Es ist wie eine Reise ohne Ankunft. Und das ist nicht alles. Ich kann fühlen. Ich erinnere mich nicht an mein Leben vor dem Abyss, doch ich kann all die Gefühle fühlen, die zu bestimmten Situationen in mein Leben auftraten. Manchmal bin ich so glücklich, dass ich fast schon Luftsprünge während des Wanderns mache. Oft bin ich so wütend, dass ich mich auf den Grund unter mir fallen lassen muss und mit meinen Fäusten darauf einschlage, bis sie bluten. Dann bin ich wieder so traurig, dass ich mich zusammenkrieche und nicht mehr aufstehen kann. Dann fühle ich mich wieder so geliebt und verliebt, dass ich vor Glück heulen könnte und wieder Hoffnung schöpfe. Ich erinnere mich nicht an die verschiedenen Situationen an sich. Ich muss die Gefühle auf meine Reise, auf das Abyss beziehen. Das Einzige, was ich weiß, ist, dass alle Emotionen auf Dauerschleife spielen. Doch auch da bin ich mir nicht sicher, wann sie wieder auftauchen. Manchmal braucht es gefühlte Jahre bis zur nächsten Emotion, manchmal weniger als fünf Minuten. Es ist einfach unberechenbar. Doch das Allerschlimmste ist das Wissen, dass ich ganz allein bin. Gäbe es wenigstens ein Monster, eine Kreatur, die mich jagen würde, hätte ich ein Ziel. Mein Ziel wäre zu laufen, mich nicht fangen zu lassen. Doch so kann ich nichts haben, kein Ziel. Ich kann meine Schritte nicht zählen, da ich mich mit den Zahlen verheddere und ein Nervenzusammenbruch mir nicht ermöglicht, weiterzudenken. Ich habe keine Hoffnung mehr. Ich will schreien, ich will um mich schlagen, ich will irgendjemandem die Schuld für meine Lage geben, doch es ist mir einfach nicht möglich. Ich kann nicht schreien, da es nicht durch den Raum schallt und es meinen Ohren einfach wehtun würde. Aber wer weiß, vielleicht gibt es doch auf einmal ein Portal zurück oder so! Ich will wieder lachen und weiterlaufen, um dieses Portal endlich zu finden. Aber was, wenn ich es nicht rechtzeitig erreiche? Was wenn ich hinfalle?
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