Das Blatt
Zusammengekauert blickte Tim an einem regnerischen Donnerstag aus dem regentropfenbeklatschten Fenster seiner Klasse. Er starrte ins Leere. Einige Minuten lang. Seine Gedanken schweiften um den duftenden Apfelkuchen seiner Mutter, die er vor einigen Wochen bei einem tragischen Autounfall verloren hatte. Versunken in den Erinnerungen an seine geliebte Mutter, überhörte er den Lehrer, der bereits mehrere Versuche startete, um Tims Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken. Plötzlich verspürte er einen leichten Druck auf seiner rechten Schulter. Tina, seine beste Freundin, stupste ihn mit einem Bleistift an. Tims Kopf hob sich und er bemerkte erst jetzt, dass er von allen angestarrt wird. Sein Blick schweifte zur Tafel, wo der Lehrer erwartungsvoll auf eine Aufgabe deutet. Tim wurde leicht rot, aber er konnte die Aufgabe dennoch lösen und der Lehrer war erstaunt, er wusste welches Schicksal Tim getroffen hatte und zeigte sich verständnisvoll. Die Schulglocke ertönte. Schulschluss. Tim packte seine Sachen, holte seinen gelben Regenschirm und ging die Treppen zur Straße hinunter. Nach einem Fußmarsch durch den Park, vorbei an Plätzen, an welchen er so gerne die Zeit mit seiner Mutter verbracht hatte. Eine Träne kullerte seine rechte Wange hinunter. Ein starker Windstoß fegte durch einen großen Laubbaum und ein rotes Blatt fiel direkt vor Tims Füße. Dies hob er auf und begutachtete es genau. Tim bewunderte es und erkannte ein kleines Herz, welcher durch die Blattadern zum Vorschein trat. Behutsam packte er es in seine Tasche und setzte seinen Heimweg fort. Als er den Hausflur betrat, vernahm er einen genüsslichen Duft, der aus der Küche zu kommen schien. Erfreut legte er seine Sachen beiseite, holte das besondere Blatt heraus und legte es direkt vor ein Bild seiner Mutter: “Ich vermisse dich.“
Mit gesenktem Kopf trat Tim in die Küche, wo er auf seine Oma traf. Freudig umarmte er sie und sein Blick schweifte zum Küchentisch, wo sich eine dampfende Suppe und ein liebevoll hergerichtetes Essen befand. Er setzte sich und begann von seinem Tag zu erzählen. Von der gelösten Aufgabe in der Schule und von seinem Fund im Park. „Vielleicht ist es ein Zeichen. Vielleicht ist sie immer noch bei mir und ich habe es nur nicht gewusst. Ich muss nach vorne blicken und ein neues Kapitel in meinem Leben öffnen, um wieder glücklich zu werden, gemeinsam mit meiner Familie und meinen Freunden, die immer für mich da waren und mit denen ich hoffentlich noch einige Jahre verbringen werde. Auch wenn es bestimmt schwierig wird. Es wird einfacher werden. . . .
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