Das Blind-Date
„Das wird schon gut gehen.“ Das waren die letzten aufbauenden Worte, die sich Anna wie ein Mantra vorgesprochen hatte. Es begann, als sie die Haustür hinter sich zuzog, und hörte erst vor dem kleinen Café auf, wo sie sich mit einem gewissen Thomas treffen wollte. Mehr Hintergrundwissen zu diesem geheimnisvollen Mann war ihr aber nicht vergönnt. Das Einzige, das sie vor dem Absturz in den Wahnsinn gerettet hatte, war ihre beste Freundin. Emily hat dieses Treffen arrangiert und würde sie nie mit einem hirnlosen, unsensiblen Mann verkuppeln wollen.
Die 15-minütige Fahrt verging quälend langsam, jede Sekunde fühlte sich wie eine Minute an. Eine nervige Angewohnheit, die sie sich als kleines Kind von ihrer großen Cousine abgekupfert hat, ist das Fingernägel kauen. Also saß sie im Taxi, Nägel kauend, währenddessen die schlimmsten Szenarien wie ein schlechter Film vor ihrem geistigen Auge gezeigt wurden.
Da es Samstagmittag ist, genießen die Leute ihr Wochenende und die Straßen sind voll. Nachdem sie sich viel zu oft mit der Hand durch die Haare gefahren hat, sah sie sich auf den Terrassentischen direkt vor dem Café um und entdeckte ihn mit einer einzelnen langstieligen Rose auf dem Tisch. Anna atmet ihre Nerven aus und geht zu dem Mann, der allein mit dem Rücken zu ihr sitzt. „Entschuldigung, sind Sie Thomas Brünn?“ Er sieht zu ihr auf und grinst, während er seine dicke schwarze ovale Sonnenbrille weiter hochschiebt. Er zieht die Augenbraue hoch und fragt, ob sie DIE Anna ist, die er hier treffen soll. „Ja! Schön dich kennenzulernen.“ antwortet sie mit einem Lächeln, während sie ihre Hand ausstreckt, um sich formell vorzustellen. Als sie ihre Hand in seine Richtung bewegt und er immer noch nicht reagiert, macht auf einmal alles einen Sinn. „Oh, bist du-“ vervollständigt er den Satz: „blind?“ und Anna nickt als Antwort. „Du hast gerade genickt, nicht wahr?“ Sein Grinsen lässt sie wissen, dass er nicht beleidigt ist oder das zu ernst nimmt. Er scheint sich daran gewöhnt zu haben. Er verhält sich fast entspannt. Als sie sich hinsetzt, will sie sich schon entschuldigen, als Thomas sie unterbrach: „Bitte entschuldige dich nicht. Ich bin es nicht anders gewohnt. Dass ich nichts sehe, ist mein normal.“ Er lächelt sie an und sie schmunzelt zurück und erkennt, dass er nicht sie sehen kann, wie sie das Lächeln erwidert.
Nachdem der erste Schock verdaut wurde, ist das Gespräch fließender geworden, angenehm. Nach einigen Minuten sagte Anna: „Entschuldige mich für einen Moment. Ich werde gerade von jemand Wichtigem angerufen. Da muss ich abheben.“ Thomas war verwirrt und fragte sie, ob er schon mal zahlen gehen soll. „Geh bitte. Ich mach das schon, wenn ich fertig bin.“, antwortet sie lächelnd und wedelt ihn mit einer Hand ab. Danach ist sie in den Gesprächen der anderen Kunden versunken.
Als Anna zurückkam, war von Thomas keine Spur mehr. Der Tisch war abgeräumt und sein Langstock weg.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX