Das Brotvon Dunja Vukobratović
Kein Lebender geht ins Grab. Keine Wahrheit geht in ihrer eigenen Wahrnehmung verloren. Kaffee brüht auf der heißen Herdplatte. Ein Drittel ausschütten, Pulver einmischen, ein Löffelchen Zucker. So hat ihr Mann seinen Kaffee getrunken, sie auch. In der kaufmännischen Ausbildung hat sie gelernt, wie man Kaffee am besten geschmacklich kocht, sodass kein Pulver überbleibt. Ihr geht es gut, sie hat noch die Wohnung ihres Mannes, einen Grabplatz neben ihm, ihr Herd, seine miserable Pension. Ein schönes Leben, kein großartiges. Auf der riesigen roten Rutsche, die errichtet wurde, als sie bei ihrer großen Schwester eingezogen ist, spielen Kinder, so wie ihre Kinder damals gespielt haben. Alle irgendwo ausgewandert, irgendwo in den Westen. Stolz erzählt sie ihrer Nachbarin von den Erfolgen ihrer Kinder. Sie arbeiten alle dort, wo ihnen nichts bekannt ist, wo sie nichts Eigenes haben können, wo sie noch einmal ihr Schicksal erleben müssen. Dort, wo sie allein sind. Bei ihr, in der Wohnung ihres Mannes hätten sie doch etwas Unseres. Sie spürt den Rhythmus ihres Herzschlags, gleichmäßig, gesund. Wenn sie doch morgen nicht aufwachen müsste. Wenn sie doch wieder in der Fabrik arbeiten würde, noch jung wäre, auf Tänze in die Mensa ginge, zuhause schweigen würde. Wenn ihre Kinder noch klein wären, ihre Nachbarin würde wie heute vorbeikommen, sagen, schau auf deine Kinder, schau, dass ihnen nichts passiert. Sie kann nicht mehr schauen, auch nicht, wenn sie da wären, wenn sie bei ihr im Haus wären. Die Wände strahlend weiß gestrichen, das hat sie selbst bezahlen können, dafür hat sie ihren Vorgesetzen anbetteln müssen, still bleiben müssen, als er sie bat, noch eine Weile mit ihm zu bleiben, lächelte, sonst wäre sie unhöflich, sonst wäre sie törisch, lachte leise, sagte ihm nichts. Damals als ihr Mann noch auf sie nach der Arbeit wartete. Die Enkelinnen beschweren sich, ein Küsschen auf die Hand von einem Fremden, ein Wörtchen ins Ohr, leise, geflüstert, sie wissen nichts. Im Westen kann sie sie nicht beschützen. Ihre Liebe ist der tiefste Kraftbrunnen für die Selbsttäuschung und die Bewegungskraft für jede Aktion. Stolz schaut sie auf den Kinderspielplatz, der steht noch. Was sie nicht alles dafür geben würde, dass ihr Herz morgen still bleibt. Dass sie nichts mehr spürt. Als sie ein Kind war, waren sie sieben Kinderleine im Haus, die sich das alte Brot teilten. Um den Tisch gestritten, aus der Hand gerissen. Was sie alles dafür geben würde, bei ihren Geschwisterchen im Frieden zu ruhen, mit ihrem Mann, mit ihrem einzigen Söhnchen. Lebendige begräbt man nicht. Gott schütze die SNS, die Partei, die ihren Kindern zuhause die sicherste Währung Europas sicherte, die versicherte, dass ihnen nie wieder etwas Schlimmes passieren würde. Versprechen im Fernsehen, sie werden nie wieder hungern, die Regale nie wieder leer. Sie ist sich sicher, sie wird jeden Morgen einen Laib Brot kaufen können, niemand kann ihr mehr das Brot aus der Hand reißen. Nachdem sie den Kaffee getrunken haben, lässt sie ihrem Mann den frischen Laib. Im Fernsehen hört sie, im Westen könne man sich das Brot kaum mehr leisten, die Preise seien in die Höhe gestiegen. Wie überleben ihre armen Kinder? Sie lügen, sie sagen sie hätten genug, sie wären zufrieden. Alles Lügen. Wenn sie bei ihr wären, hätten sie alles. Eine Wohnung, die sicherste Währung, einen Herd, ein Bett zum Schlafen, ein Dach über die schlauen Köpfchen. Die Nachbarin meint, sie spüre den Tod kommen, sie hätte schon das Leben in allen Nuancen gesehen. Lebende gehen nicht ins Grab. Der Tod lässt sich nicht beschwören, nicht überlisten.
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