Das Ende des Tänzers
Der Platz ist laut und leuchtet wie jede Nacht. Mein Gesicht ist geschminkt. Es ist meine zweite Haut. Ich trage eine Perücke. Sie juckt mich seit fünfzehn Jahren. Ich schwitze. Mein Kleid ist abgetragen und hässlich, ich besitze nur dieses. Ich beginne mich zu drehen und lache. Nicht echt, rein mechanisch. Ich glaube nicht, jemals echt gelacht zu haben.
Doch. Damals, als alles funkelte. Als alles von satten Farben, von warmen Tönen, vor allem von dieser sanften Stimme und den braunen Augen beschützt war. "Hamza, du bist das Gold der Welt", flüsterte sie immerzu.
Mohamed beginnt wieder zu spielen. Der Traum erlischt. Ich bin kein Gold mehr. Automatisch beginnen sich meine Hüften zu bewegen. Die Menschen klatschen amüsiert dazu. Viele mustern mich verächtlich, sobald sie erkennen, dass ich ein Mann bin. Zum Finale steige ich auf die Kiste. Mich ekelt, was ich tue. Ich beuge mich nach vorne und lasse den Hintern tanzen. Jemand greift danach. Es wird gejault.
Vertraute Stimmen in greifbarer Nähe. Nähe im Vertrauen zu sanftem Summen. Viele dieser warmen Hände, die nach einem greifen. Tanzen, um einen Griff in andere Seelen zu wagen.
Die Menge feiert, als sich in mir plötzlich ein Riss breit macht. Ich atme diese von Rauch und Fisch getrübte Luft ein und weine zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren eine Träne. Ich erstarre. Da wird zum Gebet gerufen und Mohamed hört auf zu spielen. Die Menschen kehren uns den Rücken zu, während die Träne meine Zunge berührt.
Tränen schmecken salzig. Genau wie das Meer damals. Als ich die Welle übersah und du mich ans Ufer trugst, während ich weinte.
Ich gehe die Straßen Marrakeschs entlang. Zwei Männer rufen mir Beleidigungen hinterher, weil ich das Kleid nicht ausgezogen habe. Ich höre sie nicht. Und weine bitterlich. Im Treppenhaus meiner Wohnung ist es fürchterlich still. Ich friere und trachte nach Wärme.
Kalte Nächte und die Wärme schwerer Decken. Der Geschmack von Tajine, Pfefferminztee und Omas Keksen. Dabei Träume von einer bunten Zukunft.
Ich träume nicht mehr. Ich denke nur an die Vergangenheit und alles, was ich verloren habe. Dich. Die Wärme. Die Zukunft. Mich selbst. Ich reibe mir die Schminke vom Gesicht und betrachte es zum ersten Mal aufmerksam. Ich fahre über die Falten. Ich blicke in die ausgelaugten, leeren Augen. Ich bewege die leblosen Lippen.
Schau wie wach dein Gesicht ist, Hamza. Es will lernen.
Schau wie müde es ist, Mama. Es will vergessen. Oder vergessen werden.
Bedenke, Hamza, du bestimmst das Tempo der Zeit, solange du nur aufmerksam genug bist. Fasse jeden Moment mit Sorgfalt an, spüre, wie die Zeit ruht; und ruhe mit ihr.
Es tut mir leid, Mama, ich habe nie mit der Zeit geruht. Es ging alles zu schnell.
Vom Balkon aus betrachte ich den Jemaa el Fna. Er ist bereit zu vergessen. Genau wie ich, Mama, heute vergesse ich. Und werde vergessen.
Ich gehe zurück, lege mich auf das Bett und schlucke die Tablette. Dann schaue ich mir dein Gesicht an. Ein letztes Mal. Bevor ich endlich ruhen darf.
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