Das Feuer
Alles brennt, verbrennt, vergeht in knisternden Flammen. Hoch lodert es hinauf, ihr Feuer bezwingt die Nacht in hellgrauen Rauchschwaden. Die Welt zittert in der Melodie ihres pulsierenden Körpers, der Triumph rauscht durch ihre Adern, hebt sie hinauf in eine bessere Ebene des Seins. Sie spürt sie noch, die Erlösung, die sie übermenschlich werden ließ.
Sie hat alles niedergebrannt. Die Plastikpalme, die fast lebendig aussah und so nie sterben wird. Die hundertachtundvierzig kleinen Spielzeugautos im Zimmer ihres Bruders. Die Dokumente auf dem Schreibtisch, die ihr ganzes Sein in Zahlen und Worte zwängten. Die goldenen Türgriffe und berüschten Vorhänge. Das ganze falsch, flach, farblose Leben in ihrem Zuhause. Einfach so.
Sie starrt in die Flammen, die jetzt am Balkon des Schlafzimmers lecken und denkt an die sterbende Welt, die ihren eigenen Untergang nicht begreift. Sie denkt an die Zeit, die so unwichtig ist, weil man sie nicht greifen kann, wenn sie nicht unter einer SMS aufleuchtet. Sie denkt an die Kinder, die ihr T-Shirt geschneidert haben, was unwesentlich ist und an die Hunde im Tierheim, die kaum ausgeführt werden, was furchtbar ist. Sie denkt an all die Menschen mit ihren leeren Gesichtern und perfekten Leben, die niemals traurig sind. All die Menschen, die sich so sehr nach Liebe sehnen, dass sie sie im Keim erdrücken. All die Menschen, die sich einreden genau das zu träumen, was gerade erwünscht ist, um nicht enttäuscht zu werden; die tanzen, tanzen, tanzen, mit geschlossenen Augen, denn hat man einmal zu viel gesehen, kommt man nicht mehr davon los. All die Menschen, süchtig nach Glück, Liebe und Erfolg, alles auf einmal und nie ist es genug.
Sie sieht es, muss es leben und doch versteht sie es nicht. Nichts davon. All die Wünsche und Bestreben wie Perlen an einer Kette aufgereiht. Man geht immer weiter, niemals zurück. Immer etwas Neues, Besseres, als wäre der Wohlstand eine Droge.
Sie sieht es, kann es nicht leben und so rettet sie sich in eine andere Welt. Eine Welt für sich und ihren Schmerz. Sie malt sich ihre Städte, ihre Menschen, ganz wie sie ihr gefallen, wie sie sie braucht. Die echte Welt reicht nicht. Sie braucht mehr als triviale Höflichkeiten, poesielose Geschichten und platte Witze, die vor Verzweiflung strotzen. Sie braucht mehr, will alles, denn sie weiß, dass sie ein Recht darauf hat.
Moment.
Vielleicht versteht sie doch, ist genauso krank, wie die anderen auch. Sie spürt die Wahrheit in ihrem Inneren, als sie Schlagzeilen mit ihrem Namen in ihrem Kopf aufflackern sieht. Kann ihr Feuer, das so perfekt ins Schema der Zerstörung, zu all den Amokläufen und Terroranschlägen passt, überhaupt ein Akt der Rebellion sein?
Ihr pulsierender Körper erstarrt.
Keine Rebellin, eine Heuchlerin. Keine Erlösung, nur Leere.
Das Feuer, ein Versuch, der rasenden Welt zu entkommen, sich über das Schlechte hinwegzusetzen und gleichzeitig eine Manifestation der Angst, selbst nicht auszureichen.
Denn es wird nie genug sein. Niemals.
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