Das Geheimnis des Tempos
Es war eine fahle, stille Nacht. Nebel hing schwer über den Bäumen, wie grauer Samt, der die Welt umhüllte. Alles wirkte unheimlich - nicht nur wegen der Dunkelheit, sondern weil Geräusche verschwanden, als würde selbst das Flüstern der Luft erstickt. Der Wald schien lebendig und zugleich starr vor Erwartung, als hätte er ein eigenes Bewusstsein. Die Schatten der Äste wirkten wie lange Finger, die sich nach mir ausstreckten, und irgendwo in der Ferne klang ein dumpfes, fast unerklärliches Geräusch, wie ein ferner Herzschlag. Es war, als hätte die Zeit selbst den Atem angehalten.
Ich spürte, wie die flackernde Grenze zwischen Sekunden und Ewigkeiten verschwamm. Die Bäume erscheinen riesenhaft, majestätisch und ihre dunklen Schatten krochen wie lebendige Wesen über den mondbeschienenen Waldboden.
Plötzlich tauchte ein schimmernder Pfad auf, gesäumt von glimmernden Pilzen. Sie leuchteten in irisierenden, unwirklichen Farben - smaragdgrün, silberblau, purpurrot. Jeder Schritt, der darauffolgte, beschleunigte mein Herz, ließ mein Blut Wallungen schlagen, heißer, unruhiger pulsieren. Doch sobald ich innehielt, fiel ich in eine fast traumartige Stille, als ob die Zeit mich vergessen hätte.
Am ende des Pfades konnte ich einen Kristall schimmern sehen, der geheimnisvoll auf einem mächtigen, schwarzen Sockel ruhte. Sein Licht war unbeständig: Mal gleißend hell, mal schattenhaft düster.
Ich streckte meine zitternden Finger aus, spürte eine unbeschreibliche Macht – das Rauschen unzähliger Stunden, das Pochen unendlicher Herzschläge, das Wispern vieler vergangener Jahrhunderte.
Ein einziger Gedanke blitzte mir auf: Tempo ist nicht nur eine Geschwindigkeit, sondern das Wesen des Lebens selbst. Zu schnell und man verbrennt, zu langsam und man erstarrt zu nichts. Mit einem tieferen Atemzug entschied ich, das Kunstwerk nicht zu nehmen, sondern weiterzuziehen - wissend, dass wahre Macht nicht darin liegt, die Zeit zu beherrschen, sondern mit Mut, seinen Rhythmus zu akzeptieren.
Und so verschwand ich im sanftem, geheimnisvollen Licht des Austeigenden roten, heißen Balls, während der Wald wieder in sein uraltes, rätselhaftes Schweigen zurückversank.
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