Das Leben an der Kante
Ich stehe hier an der Kante des Lebens, der Abgrund ist der Tod, und frage mich, wie es war, auf einer glatten Fläche zu liegen. Dort hat man nichts befürchtet, keinen Fall und keinen Sprung. Man lebte in Freiheit, wusste nicht dass das Leben so leicht enden kann - ein falscher Schritt, und ich bin tot. Ich verurteile die Unwissenden nicht, im Gegenteil - ich beneide sie. Ich möchte auch wieder die Bilder des Abgrunds aus meinem Gedächtnis gelöscht haben. Ich möchte wieder ohne das Wissen, dass dieser Abgrund nur ein paar Schritte entfernt liegt, leben.
Ich lebe jeden Tag als wäre es mein letzter. . . Nur kann ich diese Tage auch genießen? Sicherlich nie wieder so wie die Leute auf der glatten Fläche. Doch nun bin ich ein Mensch an der Kante und muss lernen damit zu leben. Die einzige Frage: Wie lange wird das wohl sein? Wie lange noch, bis der Abgrund mich zu sich holt. . .
Wieso geht dieser Schmerz, der mich an die Kante bindet, nicht weg, verschwindet einfach und lässt mich glücklich sein?
Ich bin nicht geschaffen für dieses Leben, doch ich kämpfe, um es zu meistern und mich nicht besiegen zu lassen. Ein stetiger Krieg zwischen meinem Schatten, der mich in den Abgrund ziehen will, und meinem eigentlichen Wissen, dass ich gebraucht und geliebt werde.
Ich bin gefangen und sehne mich nach Freiheit. Den Schlüssel, um endlich meiner Dunkelheit und der Kante zu entkommen, besitze ich zwar, doch habe Angst, ihn zu verwenden.
Nicht jeder Tag ist von Dunkelheit geprägt. Ich kann auch lachen und Freude verspüren. Ich kann lieben. Oh, ich liebe so stark und so sehr, dass es mich oft abhält aufzugeben. Meine Menschen sind die Verbindung zur glatten Fläche und halten mich fest. Wegen ihnen möchte ich zurück.
Es dauert Ewigkeiten, doch in dieser Welt, meiner Welt mit meinen Menschen, lebe ich und fange immer mehr an dies auch zu wollen. Sie sind mein Licht, und ich will zu ihnen, um mit ihnen ein freies Leben auf der Fläche zu genießen.
Ich brauche Hilfe und den Willen wieder richtig zu leben. Alleine geht es nicht, doch das muss auch nicht sein. Ich bin nicht alleine.
Es gibt auch andere Menschen an der Kante, die mich motivieren, Richtung Freiheit zu gehen, und mich glücklich sehen wollen. Auch für sie trete ich den Kampf an.
Schweiß. Tränen. Der Gedanke aufzugeben. All dies und noch mehr Hürden muss ich überwinden.
Doch am Ende sehe ich den neuen Anfang.
Die glatte Fläche. Ich kann frei sein, mein Herz in keinem Käfig gefangen halten. Ich lebe ohne Angst, mit Hoffnung und mit Träumen.
Es war ein schwieriger und mit Steinen gepflasterter Weg. Doch ich musste ihn gehen oder ich wäre schon verloren.
Ich weiß, dass die Kante existiert. Doch gerade deswegen kann ich das Leben auf der Fläche genießen und versuchen, Leuten wie mir klarzumachen, dass auch sie dorthin wieder zurückfinden können.
Ich war schon mal hier, doch neu heißt nicht unbedingt bisher noch nie gefühlt, sondern auch bereits vergessen.
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