Das Leben endet
Der Himmel war dicht bedeckt mit dunklen Wolken. Durch die entstehende Dunkelheit bewegte sich ein Mann mithilfe einer Fackel auf den dreckigen Straßen. Mit schnellen Schritten, das Erlöschen seiner Fackel aufgrund des kommenden Regens befürchtend, ging er durch die verzweigten Gassen – er musste einen längeren Weg wählen, um gewissen, mit einem Kreuz versehenen Häusern auszuweichen –, bis letztlich Regentropfen vom Himmel fielen und den Mann trafen. Schnell erlosch die Fackel, woraufhin er diese fallen ließ und sich ohne deren Hilfe fortbewegte.
Seufzend zupfte er sich sein nun sehr schweres Gewand zurecht, doch half es nichts, sodass er sich verzweifelt erneut auf den Weg machte. An seinem Ziel angekommen, öffnete er die hölzerne Türe des Hauses und begab sich hinein. Dort blieb er einige Zeit ruhig stehen, sodass das Zittern seines Körpers stoppen würde, und begab sich dann in den Raum rechts von ihm, in dem er, wie gewohnt, einen alten, in seinem Bett liegenden Mann sah.
Freudig ging er auf diesen zu und wartete darauf, wie es bei ihnen Sitte war, dass dieser ihn begrüße, doch schien er ihn nicht bemerkt zu haben. Der alte Mann saß auf seinem Bett und blickte auf eine Wand des Raumes; sein fahles Gesicht wies mehr Falten auf, als bei ihrer letzten Begegnung. Voller Ernst und Sorge setzte er sich nun neben den alten Mann und fragte ihn: »Sagt, mein Freund«, er machte eine Pause, »Euch geht es doch nicht schlecht, oder? «
Die Brust des Mannes bebte, doch fasste er sich schnell wieder und blickte zu seinem Besucher: »Mein Freund, du könntest nicht weiter von der Wahrheit entfernt liegen. «
Erleichtert atmete dieser auf, doch wurde er von seinem lachenden Gegenüber gestoppt: »Nein, mir geht es nicht nur schlecht. Ich bin bereits ein toter Mann! «
»Was wollt Ihr damit sagen? Seid Ihr nicht hier lebendig vor mir und sprecht? «
Nun wieder beruhigt antwortete er: »Ich dachte ich würde noch länger leben können, die Bedingungen hätten nicht besser sein können. Trotz meines hohen Alters gab es keine Anzeichen auf meinen Tod. «
»Ja, immer sprecht Ihr davon, Ihr könnet noch viele Jahre leben. Wieso behauptet Ihr jetzt plötzlich, Ihr würdet sterben! «
»Ich habe noch eine lange Zukunft vor mir gehabt, doch kommt jetzt ein Schicksalsstreich dazwischen. Wie ironisch, da war ich mir meines Lebens so sicher, doch realisiere ich, dass es nicht länger geht. Weiterleben kann ich nicht. Sieh nur! «
Er zeigte seinen Oberarm, an welchem große Beulen zu sehen waren. Schnell entfernte sich der andere einige Schritte von ihm.
»Mein Freund«, er suchte verzweifelt nach Worten, »Ihr seid krank. «
»Ja, leider bin ich es nun wahrscheinlich nicht mehr vollkommen allein. Das ist fürwahr bedauerlich. «
Während der eine sich mit einem traurigen Lachen wieder auf sein Bett niederließ, rannte der andere aus dem Haus hinaus. Nachdem dieser einige Schritte entfernt war, drehte er sich um und sah nun erstmals das frisch produzierte Kreuz neben der Türe seines Freundes.
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