Das Mädchen
Stille. Ohrenbetäubende Stille. Nur das stetig lauter werdende sirenenartige Pfeifen in seinem Ohr erklärte ihn für lebendig.
Er hörte ein Räuspern. Doch als er versuchte auszumachen woher es kam, durchzuckte ihn der Schmerz in den Rippen. Er stöhnte krächzend auf und versuchte sich unter höchstem Kraftaufwand auf den Rücken zu drehen. Erfolglos blieb er mit Tränen in den Augen reglos und heftig atmend auf dem Bauch liegen.
Atem. Warmer Atem an seinem Ohr. Irgendetwas an dem Atem hauchte ihm die Kraft ein, sich auf die Seite zu wälzen. Heftig atmend und mit zusammengepressten Augen setzte er sich auf. Sein Kopf fühlte sich weit schwerer als ein normaler Kopf an.
Zitternd und Tränen zurückhaltend öffnete er seine Augen und blickte nach oben. Vor ihm stand ein Mädchen. Es schien etwas älter zu sein. Lächelnd und etwas mitleidig blickte sie auf ihn herab und streckte ihm die Hand entgegen. Fröstelnd und ohne Worte ergriff er sie und zog sich unter lautem Fluchen, Tränen in den Augen und heftigen Schmerzen in den Beinen hoch.
Das Mädchen stütze und begleitete ihn zum dunklen Rand der schmalen Fahrbahn. Er sank auf den Boden und lehnte sich an der kalten Schutzplanke an. Das Mädchen ließ sich neben ihm auf den Boden und wärmte seine linke Schulter. Als er seinen Kopf nach rechts drehte, trafen sich ihre Blicke.
Voll Panik zog er die Schulter weg und brach in Tränen aus. Winselnd vergrub er sein Gesicht in seinen eiskalten Händen.
In seinem Kopf rauschte und säuselte es. Eine warme Hand legte sich auf seine Schulter. Ruhe durchfuhr ihn. Langsam beruhigte er sich und er atmete zitternd in seine durchnässten Hände.
„Geh bitte.“, bat er sie mit tränenerstickter Stimme.
„Ich befürchte so einfach ist das nicht…“
Ihre Stimme ließ in aufhorchen. Warm und beruhigend. Ihre Stimme fühlte sich an wie ein warmes Bad an einem kalten Herbsttag.
„Ich bin doch noch nicht einmal 18“, schniefte der Junge und blickte nach oben in den schwarzen, wolkenüberzogenen Himmel.
Ohne zu antworten nahm das Mädchen ihn in die Arme. Wieder kamen die Tränen und er schmiegte sich nach Luft schnappend an ihre warme Schulter.
„Du musst keine Angst haben. Das alles gehört zum Leben. Was auch immer kommen mag, ich halte deine Hand.“
„Geh… bitte…“, versuchte er ihr noch einmal klar zu machen. Ob er es dieses Mal aber auch wirklich so meinte, war eine andere Frage.
In ihrer Umarmung fühlte er sich geborgener als er sich seit langem gefühlt hatte.
So saßen sie noch lange da. Immer dunkler wurde die Nacht, immer wärmer die Umarmung. Als wäre sie eine Quelle der Wärme, so wurde ihm nie kalt.
Am Horizont wurde es heller. Die scharfen, zersprungenen Glasscheiben des kaputten Fahrzeuges am Wegrand wurde von ersten Sonnenstrahlen beleuchtet.
Der Junge stand auf und blickte auf das Mädchen hinab. Er streckte ihr die Hand entgegen.
„Geh bitte. Aber nimm mich mit.“
Und so ging er mit dem Tod Richtung Horizont, wie weit, weiß niemand so genau, doch das ist Zukunftsgesang.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:




















Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX