Das Mädchen am Ende der Welt
Am Ende der Welt roch es nach Vanille. Daran erinnert er sich noch.
Wo das Mädchen saß, kam der karge Asphalt abrupt zu einem Ende. Dort, wo einst eine Brücke die eine mit der anderen Seite verbunden hatte, baumelten jetzt ihre Beine. Es wirkte fast so, als hätten die Unwetter und Naturgewalten nur für sie und aus keinem anderen Grund die Straße in die Knie gezwungen.
„Bin ich hier richtig? Ist das schon das Ende der Welt?“, fragte er.
„Das ist noch ein paar Stunden in diese Richtung.“ Sie schnalzte mit der Zunge. „Aber nahe genug.“ Die Beine in der Luft der Straßenlosigkeit schaukelnd, saßen sie.
„Was machst du schon hier?“ Als er sie so betrachtete, wusste er, wie leicht es sein würde, von ihrem bittersüßen Geruch betrunken zu werden.
„Ich warte.“ Gedanken verloren spielte sie sich mit einem Feuerzeug. Klick, machte das Metall unter ihrem Daumen. Das Zahnrad erinnerte ihn an das Gebiss eines hungrigen Tieres.
„Was willst du anzünden?“ Reichten ihr die bestehenden Feuer nicht? Kleine, kurzlebige Funken blitzten auf.
„Am liebsten alles.“ Das Lächeln, das sie ihm schenkte, war nicht weniger gefährlich als die schlimmsten Dinge, die er gesehen hatte. „Genug, um selbst zu brennen. Ich will brennen, bis alle Narben von meiner Haut geschmolzen sind wie die Verzierungen von einer Osterkerze.“
Sie hatte in seinem Schweigen vermutlich einen Vorwurf vernommen, denn sie begann sich zu rechtfertigen: „Vielleicht liegt es daran, dass in meinem Herzen dasselbe Feuer tobt, das all diese Menschen dazu bringt, die Welt zu zerstören.“ Die Flamme auf ihrem Feuerzeug ging an und wieder aus.
„Feuer ist nicht die Lösung.“ Rotes Licht erhellte den Horizont.
„Für Menschen schon. Hast du Müll? Brauchst du Baugrund? Stören dich deine Feinde?“ In ihren Augen spiegelten sich die Flammen immer näherer Ferne.
„Viel zu viele vertrauen darauf, über allem in Sicherheit schweben zu können, während die Welt brennt.“, murmelte er. Ein Kiesel verließ seine Hand und stürzte sich zu Boden. Er war es leid, den Menschen zuzusehen, wie sie alles um sich herum in Brand steckten.
„Ich nicht, denn ich bin zwischen Ruinen aufgewachsen. Zwischen den Überresten der Reiche, die dachten, sie würden für immer bestehen.“ Ihr nachdenklicher Blick lag schwer auf der Ferne.
„Die Menschen werden die Welt verbrennen.“ Ihm war, als könnte er die Flammen auf den Zündschnüren der Bomben schon knistern hören. „Und sie werden die Schuld lediglich bei ihren Streichhölzern suchen.“
„Tod?“ Er hielt inne. Tränen hatten Spuren auf ihren rußigen Wangen gezogen. „Danke, dass du mir Gesellschaft leistest.“ Sie lehnte sich an seine Schulter, suchte Schutz in seiner Beständigkeit.
„Ich bleibe bei dir bis ans Ende der Welt.“
„Das ist aber nicht mehr sonderlich weit, wenn alle so weitermachen. Bald können wir nicht mehr weiter.“
„Aber hier und jetzt können wir noch.“
Vielleicht lag es am vanillebetäubten Zustand seines Geistes, aber er hätte schwören können, dass dort am fernsten Horizont ein paar Feuer wieder ausgingen.
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