Das Schicksal ist ein mieser Verräter
Was ist das größte Glück auf Erden? Jeder beantwortet diese Frage anders, doch Eltern
werden stets dasselbe antworten: ihre Kinder. Und vor nicht allzu langer Zeit wurde noch ein
Ehepaar überglücklich, denn es bekam sein erstes Kind, ein Mädchen, das sie Charlotte
nannten. Eine Freude für das Paar selber und all ihre Bekannten und Verwandten.
Charlotte war sehr leicht zu erziehen. Sie liebt all ihre Bekannten und das Spielen mit ihnen
bereitet ihr immer Freude. Zeichnen war auch eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen und sie ist
auch sehr begabt.
Heute ist Charlotte sechs Jahre alt und der erste Schultag steht vor der Tür. Das Mädchen ist
aufgeregt, denn es ist unerfahren im Umgang mit Kindern, die nicht aus ihrem Familienkreis
stammen, denn sie hat keinen Kindergarten besucht. Mit einem Grinsen von Ohr zu Ohr,
einem Rucksack auf dem Rücken und einer Schultüte in der Hand betritt Charlotte die
Schule. Sie ist begeistert! So viele Kinder und hoffentlich bald auch neue Freunde. Von den
Eltern begleitet, kommt sie ins Klassenzimmer, doch dann werden alle Eltern gebeten, den
Raum zu verlassen.
Die Lehrerin und Schüler verbringen den ganzen Tag bis zur Mittagspause zusammen.
Charlotte merkt, dass viele Kinder Freundschaften knüpfen und sie will auch Teil davon sein.
Doch wird sie immer wieder zur Seite gestoßen und ausgelacht mit Aussagen wie: „Eww!“,
„Lass uns in Ruhe du Freak!“ oder „Bist du auch wirklich ein Mädchen?“. So kommt es dazu,
dass Charlotte den restlichen Tag alleine verbringt, während alle anderen fröhlich
miteinander herumtollen. Sie sitzt weinend am Rand des Schulhofs, weil alle so gemein zu
ihr sind.
Doch dann geschieht etwas Unerwartetes, ein kleines Wunder: Ein anderes Mädchen setzt
sich zu Charlotte und fragt sie sorgenvoll, warum sie weine. „Alle Kinder sind fies zu mir! Sie
lachen mich aus. Ich habe keine Freunde! Ich weiß, ich bin anders als die Anderen. Seitdem
ich mich erinnern kann, verbrachte ich meine immer gleichen Stunden im Krankenhaus und
kämpfte gegen den Krebs und habe gewonnen! Deswegen schau ich so aus. Ich bin freunde-
und haarlos, aber das ist nicht meine Schuld, ich habe mir den Krebs nicht gewünscht. Ich
dachte das Leben wäre schön außerhalb des Krankenhauses, doch wenn das das wahre
Leben ist, hätte ich doch lieber im Krankenhaus sterben sollen! Das andere Mädchen ist
zunächst sprachlos „Denkst du wirklich, dass du deshalb weniger ein Creep bist, und dass
dich jetzt alle mögen werden? Haha, netter Versuch, Glatzkopf!“
Als Charlotte am selben Tag nachhause kommt, kann sie ihre Tränen nicht bremsen. Sie
weint und weint, bis sie schlussendlich einschläft.
Das ist die Geschichte von Charlottes erstem Schultag und auch von ihrem letzten, denn das
Mädchen wollte nie wieder aus dem Haus und wurde ab diesem Moment zuhause
unterrichtet. Keine Freunde, kein Spielen am Schulhof, kein Kontakt zu anderen Menschen,
bloß Einsamkeit.
Doch können wir noch? Können wir noch weitere Geschichten wie diese vermeiden?
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