Das Tempo unserer Zeit
Wenn ich gewusst hätte, was in wenigen Minuten passiert, wäre ich nie gestartet – und trotzdem bin ich froh, dass ich es getan habe…
Ich werfe noch einen letzten Blick auf die schneebedeckten Berge, bevor ich das Starthäuschen betrete. Das große Banner mit dem FIS-Logo hängt etwas schief. Es riecht stickig. Meine zwei Trainer*innen erwarten mich bereits, sie lächeln mich an und kommen auf mich zu. Wir gehen ein paar letzte Einzelheiten der Stecke durch. Die Bedingungen sind optimal. Ich fühle mich stark und bereit, allen zu zeigen, wofür ich die letzten Monate so hart trainiert habe. Und trotzdem spüre ich, wie der Druck auf meinen Schultern lastet. Ich muss gewinnen. Die Konkurrenz ist stark, hundertstel Sekunden entscheiden über Sieg oder Niederlage. Ich habe Angst, mich selbst und alle anderen zu enttäuschen. Nicht zu gewinnen würde bedeuten, dass alles umsonst, und so viel Zeit vergeudete war.
Im Wartehäuschen herrscht ein geschäftiges Treiben, fünf Läuferinnen sind noch vor mir. Es scheint, als bliebe die Zeit stehen. Ich mache ein paar Atemübungen, um ruhig zu bleiben. Als der Startschuss näher rückt, wird mein Herzschlag schneller, die Aufregung steigt.
Ich bin bereit. Der Countdown beginnt und die Welt scheint für einen Moment still zu stehen. Voller Energie starte ich los, überzeugt dieses Rennen zu gewinnen. Später wird man mir sagen, dass ich mit einer Rekordgeschwindigkeit von 130 Stundenkilometer unterwegs war.
Ich wache auf, öffnen meine Augen und sehe eine weiße Decke. Um mich herum ist alles ganz ruhig. Das Bett, in dem ich liege, fühlt sich hart an. Ich spüre, wie meine Fingerspitzen das Leintuch berühren – wie erstarrt liege ich da. Meine Beine fühlen sich taub an, ich bin nicht fähig, sie zu bewegen. In mir steigt Panik auf. Was ist passiert? Wo bin ich? Tausend Gedanke schwirren in meinem Kopf herum. Ich versuche zu schreien, aber es kommt kein Ton über meine Lippen. Plötzlich höre ich Stimmen und Schritte, die Tür zu meinem Zimmer wird geöffnet. Es ist, als ob eine Blase um mich herum zerplatzt. Alles ist hektisch und laut. Die Erinnerung an die nächsten Minuten ist verschwommen. Erinnern kann ich mich an die Tiefe Traurigkeit und Verzweiflung als mir gesagt wurde, dass ich nie wieder Skifahren kann. Und meine Karriere am Ende sei.
Ein Jahr später sitze ich auf der Terrasse, ich schaue von unten auf die sonnenbeschienen Berge. Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit sind überwunden. Ein Schmunzeln kommt mir über die Lippen, wenn ich daran denke, wie viel Positives mir das Skifahren in meinem Leben gegeben hat. Ich habe gelernt, nie an mir zu zweifeln, mich und meine Ziele nie aufzugeben und konsequent an meinen Vorhaben zu arbeiten.
Doch der Sturz ließ mich noch etwas erkennen. Jetzt sehe ich mein Leben nicht mehr als ständigen Wettlauf gegen die Zeit. Der Druck, immer besser und schneller als die anderen zu sein, ist von mir abgefallen. Ich fühle mich so leicht und frei wie noch nie. Ich schätze jeden Moment, besonders die langsamen.
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