Das Tier
Das Wesen im Terrarium sieht aus wie ein ganz normales Tier. Nicht besonders groß, nicht besonders klein. Keine auffällige Farbe, keine hervorstechenden Körpermerkmale. Kein abnormales Fell, keine abnormale Haut. Keine bemerkenswerte Anzahl irgendwelcher Körperteile. Es gibt weder außergewöhnliche Laute von sich, noch bewegt es sich auf eine merkwürdige Weise.
Der Professor und der Wissenschaftler stehen vor dem Käfig und schauen interessiert hinein.
„Das ist die neue Entdeckung, von der Sie gesprochen haben?“, fragt der Professor und bläst den Rauch seiner Zigarette nach oben. „Sieht nicht besonders entdeckenswert aus, wenn Sie mich fragen.“
„Warten Sie ab“, sagt der Wissenschaftler. „Es wird gleich ein äußerst seltsames Verhalten zeigen. Ich kann keinen Sinn dahinter erkennen.“
Das Tier beginnt, auf und ab zu laufen. Zunächst nur ein paar Schritte, dann ein bisschen weiter. Es inspiziert jeden Winkel seines Käfigs, sowohl den Boden, als auch die Wände. Es betrachtet sein Futter in der einen Schale und sein Wasser in der Schale daneben. Es tastet den Boden ab, gräbt an manchen Stellen ein Stück und bewegt sich dann weiter, ohne sich um die entstandenen Löcher zu kümmern. Schließlich stellt es sich in die Mitte des Terrariums und entfacht ein Feuer. Die Flamme flackert, Rauch steigt empor. Das Tier lässt sie brennen und entzündet eine neue an einer anderen Stelle. Es rennt umher, steckt den Boden nach und nach in Brand, zieht eine brennende Spur hinter sich her. Immer schneller läuft es umher, immer schneller sprießen neue Funken.
Der Professor hält seine Zigarette im Mundwinkel, ohne daran zu ziehen. „Was macht es da?“, fragt er.
„Es legt Feuer“, antwortet der Wissenschaftler. „Das habe ich gemeint. Alle Individuen dieser Art, die ich bisher gezüchtet habe, verhalten sich so. Mir ist kein anderes Tier bekannt, das so etwas tut. Eine umwerfende Entdeckung.“
Das Tier verbrennt seine Nahrung, lässt sein Wasser zischend in Dampf aufgehen, verwandelt seine Atemluft in schwarzen Qualm. Es ist kaum noch zu sehen, die Flammen schlagen gegen das Glas und hinterlassen dunkle Flecken. Der Rauch hüllt das Tier nahezu vollständig ein, nur hin und wieder leuchtet es im Licht einer neuen Flamme auf. Als nichts mehr von dem übrig ist, was einmal im Terrarium war, verbrennt das Tier selbst unter gequälten Lauten, die vom Qualm erstickt werden.
„Das ist äußerst interessant“, sagt der Wissenschaftler. „Ich kann mir das nicht erklären. Warum sollte irgendein Lebewesen so etwas tun? Das ist gegen jede Natur. Entweder, es hat einen widernatürlichen Selbstzerstörungstrieb, oder ihm fehlen jegliche Instinkte.“
„Das ist nicht interessant.“ Der Professor drückt seine Zigarette im Aschenbecher aus. „Das Ding ist ein Monster. Züchten Sie so etwas nicht mehr, das zerstört uns noch alle.“
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