Das Trauma der Sharon Stern
Auf einmal wird es stockdunkel und ich beginne zu lachen. Es ist ein Gefühl des Schreckens und Schmerzes, welches mich zum Lachen bringt. Das Lachen hält an und die Trauer schweigt langsam.
Ihr fragt euch sicher, wie man lachen kann und gleichzeitig solche Gefühle in sich trägt.
Ich sag’s euch, aber wir sollten am Anfang beginnen:
Unsere Geschichte fängt aber eigentlich an einem 9. Jänner an.
Wir sitzen einfach ruhig da, als es an der Tür klopf. Mein Vater geht raus und kommt nach fünf Minuten mit Tränen in den Augen zurück. Ich glaube, jemand ist gestorben. Vielleicht Tante Ewa. Sie war lange nicht mehr zu Besuch. Oder Sabba, der Vater von Mutter. Aber das kann es wohl doch nicht sein.
Plötzlich packt mich Vater am Arm und zerrt mich in einen Kasten. Er sagt, ich soll ruhig sein und hier bleiben, bis Tante Ewa mich rausholt. Also ist sie doch nicht tot, aber warum muss ich ruhig bleiben? Wo gehen Mutter und Vater hin? Und was macht Tante Ewa hier?
Ich sitze lange im Kasten und habe jede Hoffnung aufgegeben, dass Tante Ewa noch kommt. Alle haben mich verlassen. Mutter und Vater sind einfach weg.
Tante Ewa ist noch immer nicht da und es ist schon seit längerer Zeit dunkel draußen. Keiner mag mich. Alle haben mich vergessen.
Freunde habe ich auch keine, da wir erst vor ein paar Jahren hier hergezogen sind und Juden nicht in die Schule dürfen.
Ich sitze im Kasten und will aufgeben.
Ich habe keine Lust mehr.
Jemand soll mir erklären, was passiert.
Das Einzige, was ich weiß, ist, dass Krieg herrscht, im Jahr 1943. Vater hat mir nämlich mal erklärt, dass es sehr gefährlich für uns ist, und falls jemand wissen will, ob ich Jude bin, soll ich ganz klar und deutlich, ohne zu überlegen „NEIN“ sagen und brav tun, was man von mir will. Was das mit dem Krieg zu tun hat, weiß ich selbst nicht.
Ich schrecke auf, als die Tür sich öffnet. Ich muss eingeschlafen sein, denn jetzt scheint die Sonne durch den kleinen Kastenschlitz.
Jemand ist da und ich hoffe, dass es Tante Ewa ist. Aber ich höre nur einen Mann sprechen. Er redet über meine Eltern, irgendetwas von vergast, aber das verstehe ich nicht. Und dann sagt er, sie wären tot. Ich höre Tante Ewa weinen und freue mich, dass sie da ist. Doch dann trifft es mich: Mir wird ganz übel und schwarz vor den Augen. Ich lache, weil Tante Ewa da ist und weine zugleich.
Doch da ich nicht einmal wirklich weiß, was der TOD ist, lache ich einfach. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und springe aus dem Kasten. Das war wahrscheinlich nicht sehr gescheit, aber jetzt ist es zu spät. Ich umarme Tante Ewa und freue mich, dass sie da ist.
Und in diesem Moment habe ich dieses Gefühl des Schreckens, welches ich mit mir trage und trotzdem lache ich.
Und obwohl ich lache, will ich dieses Gefühl nie wieder verspüren.
Und auch, wenn ich mich in dem Moment freue, würde ich alles tun, um es zu vergessen.
Ich bin Sharon Stern.
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