Dein Tod ist nicht das Ende
“Death is only the end if you assume the story is about you. ”
- Welcome to Night Vale, Episode 158 – The Battle of Time
In letzter Zeit fragst du dich oft, wie es wäre, wenn du an deinem eigenen Begräbnis teilnehmen könntest. Ein heimlicher Beobachter unter trauernden Gästen. Wer würde zu deinem Begräbnis kommen?
Deine im Streit auseinander gegangen Eltern? Würden sie ihre gegenseitige Abneigung hinunterschlucken, ihre Nähe zueinander tolerieren, deinetwegen? Oder würden sie eine Szene machen, sich als Opfer darstellen, deinen Moment wieder zu ihrem machen und sich in den Mittelpunkt drängen mit ihren Problemen und dem nie enden wollenden Hass auf den jeweils anderen.
Würde deine Großmutter kommen? Gebrechlich wie sie ist, würde sie den Weg überhaupt schaffen? Oder würde sie ihr Weg zu deinem Grab ins eigene führen? Könntest du mit dieser Schuld leben? Metaphorisch gesprochen.
Die Liste endet hier, du wüsstest nicht, wem du sonst noch etwas bedeutet hast, wer dir sonst noch die letzte Ehre erweisen würde. Keine Geschwister, Freunde, Liebhaber. Wenn du an deinem eigenen Begräbnis teilnehmen könntest, wärst du womöglich die einzig anwesende Person.
Doch angesichts der Umstände wird niemand an deinem Begräbnis teilnehmen, weder du noch deine Eltern oder deine Großmutter. Gibt es ohne Leiche überhaupt ein Begräbnis? Einen leeren Sarg in einem leeren Grab? Wenn dir eine letzte Frage gewährt werden würde, würdest du danach fragen. Dir wird keine letzte Frage gewährt.
Jeder muss eines Tages sterben. Außer du, wie es scheint. Bei dir dauert es mehrere Tage. Zuerst wird dir deine Zunge genommen, dann deine Füße, deine Hände, deine Zähne. Ohren und Augen werden dir gelassen, natürlich, wie bekommst du sonst mit, was um dich herum geschieht? Nach vier Tagen stirbst du (endlich).
Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende, bei weitem nicht. Der Tod ist nur das Ende, wenn du annimmst die Geschichte handle von dir. Doch das tut sie nicht.
Nachdem du gestorben bist, werden deine Arme und Beine und dein Kopf von deinem Körper getrennt. Kleinere Teile lassen sich leichter in Säure auflösen.
Um deine Frage zu beantworten, ja, es gibt auch Begräbnisse ohne Leiche. Aber nicht in deinem Fall. Deine Leiche wird nicht gefunden, sie existiert ja auch nicht mehr. Dein Mörder wird zwar gefasst – zwei Jahre nach deinem Tod wird er unvorsichtig und lässt sein letztes Opfer entkommen – doch er nimmt deinen Mord mit ins Grab. Du wirst nie als vermisst gemeldet, und als dein Verschwinden dann doch auffällt, wird es nie mit den grausamen Morden in Verbindung gebracht, die zur selben Zeit in derselben Stadt vor sich gingen.
Dein Tod war nicht das Ende der Geschichte; das letzte Opfer, das, das entkommen konnte, war das Ende dieser Geschichte. Dein Tod war nur einer von vielen Toden. Mehr als die Polizei beweisen kann, weniger als der Mörder verkündete.
Dein Tod war kein Ende, außer dein eigenes. Und wie viel bist du im Vergleich zur Unendlichkeit des Universums wirklich wert?
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