deine erste Pirouette
Lisa macht ihre 73. Pirouette heute und ich sehe ihr dabei zu, doch sie weiß nichts davon. Durch den Spalt, der meine einzige Möglichkeit ist, sie zu sehen, beobachte ich sie, wie sei durch ihr Zimmer tanzt und dabei aussieht, als ob sie schweben würde. Mir fällt wieder ein, wie Lisa mit mir ihre allererste Pirouette gemacht hat. Sie ist vor Freude wild durch ihr Zimmer gesprungen und hat gleich die nächste gemacht. Oder wie sie zum ersten Mal nach wochenlangem Üben einen Spagat geschafft hat, da ist sie sofort grinsend zu ihren Eltern gelaufen und hat stolz hergezeigt, was sie sich erarbeitet hat. Ich habe mich richtig gefreut sie so glücklich zu sehen, wusste aber noch nicht, wie wenig Zeit uns noch zusammen bleiben würde. Denn irgendwann wurde ich nach den vielen Übungsstunden zu weich, war ihr zu klein und hab ihr nicht mehr genug Halt zum Tanzen geben können. Wenn ich mich daran erinnere, fühltes sich an, als wäre es gestern gewesen, aber das war es nicht. Es ist schon viel länger her. Also liege ich schon seit einiger Zeit abgewetzt, ausgetragen und verstaubt in dieser dunklen Lade und frage mich, wann ich Lisas Zimmer wieder „ganz“ sehen werde. Seit ich hier bin sind schon Wochen, wenn nicht Monate vergangen, aber ich habe Lisa jeden Tag beim Üben zugesehen. Sie probt ganze Nachmittage lang ohne Pause oder Entschuldigung in ihrem Zimmer und wird immer besser. Obwohl es schön ist, ihre Fortschritte mitzubekommen, fällt es mir trotzdem nicht leicht zu sehen, wie sie einfach nie mit sich selbst zufrieden ist. Selbst bei dem kleinsten Fehler fängt sie alles noch einmal von vorne an, so lange, bis sie es richtig macht. Am liebsten würde ich ihr einfach sagen, wie schön sie tanzen kann, wie weit sie gekommen ist und vor allem, dass ich sehr stolz auf sie bin. Seit sie mich in diese Lade gelegt hat, wurde aus dieser ersten, einen Pirouette zwei, dann drei und es werden immer mehr. Wenn ich sie jetzt sehe, wie sie sieben am Stück dreht und dabei immer schneller wird, denke ich nur daran, dass die Zeit so schnell vergeht wie Lisas Pirouetten. Aber ich werde für immer der Schuh sein, mit dem sie ihre Allererste gedreht hat.
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