DemokraTIER
Die Luft atmet rhythmisch und im Gleichtakt. Harmonie streift die Gesichter. Einatmen. Ausatmen. Der Boden bebt. Die Stimmung steigt im Höhenflug. Fußsohlen trommeln Melodien. Megaphone beherrschen die Stadt. Alle Stimmen sind erhoben. Alle sind laut. Herzen toben tausendfach. Die Straße lebt.
Das Eichhorn kreischt in den Lärm bis sich seine Stimme mit Purzelbäumen überschlägt: „50 000 hat der Waschbär gesagt! Kannst du das glauben Wolf?“
„Glauben kann ich alles, wissen kann ich es nicht“, Wolfs Stimme ist tief.
„Aber Wolf! Wir sind so viele! Die Leute fangen an zu denken! Die Leute fangen an zu sein!“
„Descartes“, sagt der Wolf.
„Descartes“, das Eichhorn nickt andächtig und küsst ihm die Schnauze.
Die Tiere sind laut. Sie sind ein buntes, bewegtes Bild aus Vogelperspektive. Vögel demonstrieren auch. Im Zwitschern singen sie die zweite Stimme. „Hoch! Die! Internationale Solidarität!“, und die Schar fliegt immer höher. Aus den Fenstern hängen sich Jubelnde viel zu weit hinaus. Man kann Bauchnabel über den Fensterrahmen sehen.
„Salve! Salve!“, mit bebender Stimme drängt sich der Waschbär zwischen Kuhflanken hindurch. „Ich habe eine ungute Vorahnung“, die Stimme zittert voller Inbrunst, „Es scheint so weit zu sein“, fadenscheinig hängt das Gesprochene über Tierköpfen.
Der Wolf legt die Ohren an und riecht das Unheil. Plötzlich zuckt die Menge. Plötzlich stoppt die Menge. „Die Lieblosen! Die Lieblosen!“ Das Eichhorn steht ganz still. Schockstarre. Mit blitzenden Augen stürzt der Waschbär davon. Schüsse knallen. Fahnen und Plakate fangen Feuer. Schlagstöcke durchjagen die Luft. Die Lieblosen sind silbrige Schatten. Sie kommen in Leichenwägen. „Gib Acht auf dich!“, sagt der Wolf zum Eichhorn. „Sowieso“, wispert das Eichhorn, doch seine Stimme bricht. Und fort ist der Wolf. Mitten in der Stadt wird eine Straße zur Wüste. Verwüstet ohne einem Sandkorn. Das Eichhorn setzt hinweg über Zigarettenstummel und Bordsteinkanten, bis seine Lunge scheinbar nicht mehr atmet, nur noch sticht. Gellende Hilfeschreie hallen von den Häuserwänden wider. Die Lieblosen stopfen den Schreienden das Maul. Rauchschwaden fegen den grauen Asphalt. Das Eichhorn wird am Schwanz gepackt und der Schmerz packt umso fester zu. Eine dunkle Schuhsohle zerquetscht das rotbraune Fell. Die Schuhsohlen stehen in Auftrag des Staates. Kreischen kann von Todesqualen erzählen. Der Staat tritt fester zu. Aus tränenverschleierten Augenwinkeln sieht das Eichhorn den Wolf Blut röcheln. Handschellen brechen seine Pfoten und des Eichhorns Herz. Seine Augen sind schon stumpf. Die Lieblosen tragen ihn fort. „Faschistenschweine!“ Wolfsgebrüll geht durch Mark und Bein. Dem Eichhorn passiert sein Leben revue.
„10 000 Aggressive, laut dem Diktator und den Lieblosen! 10 000!“, sagt der eine.
„Aggressive gehören weggesperrt! Gut so, dass für Recht und Ordnung gesorgt wird. Nicht, dass am End Gewalt regiert“, der andere hat Zornesröte im Gesicht.
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