Der Bürge
Der Bürge hatte sich auf seinen Freund verlassen. Es war ihm nie in den Sinn gekommen an ihm und seiner Geschwindigkeit zu zweifeln. Sein Freund würde kommen und ihn vor dem Kreuze bewahren. Der Bürge spürte wie etwas Nasses über seinen rechten, verkrampften Fuß huschte. Eine der Ratten, dachte er, eines jener grauen pelzigen Wesen mit denen er sich diese Zelle seit nunmehr drei Tagen teilte. Die Zelle war klein und düster, da ihr einziges Fenster klein, vergittert und zu allem Überfluss undicht war. Der schon lange anhaltende, wütend tobende Sturm hatte dafür gesorgt, dass sich durch einen steten Fluss aus Wasser ein See in der Mitte der Zelle gebildet hatte. Dem Bürgen, welchem eiskalt war, und den Ratten sehr zum Verdruss. Der Bürge betrachtete seine Hände. Die nun wunden und zerschundenen Hände waren die gleichen, mit denen er noch vor kurzer Zeit die Leier gezupft hatte. Die Hände, mit denen er so gerne… Nein. Der Freund würde bald kommen und ihn zurück in die Freiheit, zurück zu seiner Leier führen. Das war gewiss. Wie nur konnte der eigentlich so leichtsinnig handeln? Den Tyrannen ermorden wollen? Platsch. Wieder eine Ratte. Der Bürge stellte erschrocken fest, dass er eingeschlafen war, als ihn die Kirchturmuhr mit einem lauten Gong weckte. Er lauschte. Schon so spät? Seine Augen wanderten zum Fenster. Der Sturm hatte sich gelegt und an seiner Statt war ein rötlicher Sonnenuntergangsschimmer getreten. Sonnenuntergang, und der Freund noch nicht hier? Klack, klack, klack. Der Bürge hörte Schritte im Gang widerhallen und abrupt vor seiner Zelle enden. Der Freund? Dem Hall der Schritte folgte das Rascheln eines Schlüsselbunds, dann das unheimliche Knarzen der Türe. Eintrat statt des erhofften Freundes ein Priester, welcher gekommen war, um dem Bürgen die letzte Beichte abzunehmen. Der Bote meines Todes, dachte der Bürge. Sein Freund hatte es nicht geschafft. Der Bürge sah sein Leben vor seinen Augen vorbei ziehen, sah die Dinge die er liebte, die Dinge die er niemals wieder sehen würde. Die grobe Art der Soldaten, die ihn zum Kreuz brachten, rüttelte ihn aus seinen Gedanken. Man stellt den Bürgen vors Kreuz. Man zurrt ihn mit Seilen fest. Er wird empor gehoben. Er blickt in die umstehende Menge. Die Gesichter sind gierig und erregt. Der Henker kommt. Es ist aus. Der Henker hält inne. Die Menge teilt sich. Hindurch eilt der Freund raschen Schrittes. Der Bürge wird vom Kreuz genommen. Der Freund umarmt ihn kurz und ernst bevor er sich dem Tyrannen zuwendet. Dieser spricht: „Es ist euch gelungen, ihr habt das Herz mir bezwungen, und die Treue, sie ist doch kein lehrer Wahn, so nehmetauch mich zum Gefährten an, ich sei, so gewährt mit die Bitte, in eurem Bunde der dritte.“
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