Der entscheidende Tag
Zum ersten Mal nach langer Zeit öffnete ich an diesem Tag die Haustür. Und zum ersten Mal nach noch längerer Zeit setzte ich einen Fuß nach draußen. Dann noch einen. Bis ich im Garten stand. Er war verwelkt. Nicht zu meiner Überraschung, schließlich gab es niemanden, der sich um ihn gekümmert hätte. Keinen hatten die gelben Rosen und roten Tulpen interessiert. Weder mich noch sonst wen. In der Vergangenheit war das anders gewesen. Es blühte nur so, aus jeder Ecke des Gartens, ich musste kaum mehr Obst und Gemüse kaufen gehen, man konnte es direkt vom Fenster aus pflücken. In der Früh einen Apfel, zu Mittag eine Birne und am Abend eine Handvoll Kirschen. Doch das hatte sich geändert. Die Zukunft. Ich hatte mir oft diesen Tag vorgestellt. Der Tag, an dem ich wusste, die Zukunft ist da. Und dieser Tag war heute.
Mir wurde gerade erst bewusst, was ich denn da überhaupt tat, als meine Hand auf dem drehbaren Griff des Tores lag. Ich war nicht bereit dafür, was mich draußen erwarten würde. Wenn es schon dem Garten so schlecht ergangen war, wie müsste es dann draußen in der richtigen Welt sein. Das letzte Mal als ich nachgeschaut hatte, war es braun gewesen. Matschig. Die Bäume waren dabei, ihre Blätter zu verlieren, und standen kahl in der Gegend herum. Ich zwickte meine zitternde Hand und fasste meinen ganzen Mut zusammen. Das Tor stand offen. Meine Augen waren ganz fest zusammengekniffen. Ganz kurz, nur einen winzigen Moment, öffnete ich sie, doch als ich sie wieder schließen wollte, wurde mir klar, was denn da draußen war. Das konnte nicht echt sein. Was dort war, es konnte nicht real sein. Ich konnte nicht anders und ging noch einen Schritt nach vorne. Und auf einmal versanken meine Füße in einer weißen Decke, die sich am Boden ausgebreitet hatte. Schnee. Es hatte geschneit. Ich sah noch oben, woraufhin mir dicke Flocken auf die Nase fielen. Die Zukunft. Sie hatte es geschafft. Ich konnte mich nicht an das letzte Mal erinnern, wann ich Schnee gesehen hatte. Aber hier war er. So als wäre er nie verschwunden. Genauso wie die Sonne am Himmel schien. Als wäre sie nie untergegangen. Ich gab einen kleinen Freudenschrei von mir, und lief los. Über die Straße, und immer weiter. Lichter. Es waren Lichter aufgehängt worden. Überall funkelt und glitzerte es. Kein Matsch mehr. Die Bäume waren von dem weißen Schnee umhüllt worden, der so aussah, als würde er beim kleinsten Windstoß hinunterfallen. Doch er tat es nicht. Wie ein Zauber hatte er die Bäume wieder zum Leuchten gebracht. Ich wusste genau, wem ich das zu verdanken hatte. Das Funkeln, Glitzern und Leuchten. Verzückt lief ich weiter, bis ich an einer kleinen Hütte ankam. Ein kleiner Mann saß darin, mit einem Schild, das „Heiße Schokolade zu verschenken“ sagte. Er nickte mir zu und drückte mir dann eine Tasse des dampfenden Getränkes in die Hand. Ich nahm einen kleinen Schluck und es war perfekt. Perfekt in jedem Sinn. Die Welt war wieder perfekt.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX