Der fremde Teil in meinem Kopf
Geh bitte! Geh bitte! Geh weg! Lass mich in Ruhe! Ich kann nicht mehr!
Das sind die Worte, die ich schreie, denn ich halt ihn nicht mehr aus, diesen fremden Teil, der in meinem Kopf sitzt und nie zu schlafen scheint, der sich ohne Erlaubnis eingenistet hat und ausbreitet. Fast jeder kennt ihn, aber keiner hat ihn.
D-E-P-R-E-S-S-I-O-N
Depression, das ist der Name dieses Fremden. Und ich habe keine andere Wahl, als auf ihn zu hören.
Er tut mir psychisch weh, so sehr, dass ich anfange mir physisch weh zu tun, damit der Schmerz, den er mir zufügt, endlich aufhört. Die Klingen wandern durch meine Hautschichten wie durch Butter. Es blutet, es tut weh, aber ich fühle mich für ein paar Minuten lebendig. Blut ein Zeichen für Lebendigsein, ich fühle endlich etwas Richtiges, dieses taube Gefühl ist endlich weg.
Wenn ich behaupten würde, dass alles schlecht sei, wäre es eine Lüge. Es gibt Momente, in denen der fremde Teil in meinem Kopf sich zurückzieht, ich kann lachen, mit Freunden etwas unternehmen und Spaß haben. Doch, sobald ich wieder allein bin, breitet sich der Teil wieder aus und nimmt mich wieder ein. Und ich? Ich falle noch tiefer in sein Loch hinein, in das Schwarze, aus dem ich keinen Weg hinaus mehr sehe.
Aber keiner kann es sehen, nur ich kann es fühlen, also raff ich mich auf, jeden Tag, und versuche allen Ansprüchen gerecht zu werden. Das perfekte Kind mit den perfekten Noten, noch dazu sportlich und sozial integriert. Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem alles auseinander bricht, ich kann nicht mehr und jegliche Kontrolle, die ich über mein Leben besitze, ist weg.
Kontrolle, ist auch so eine Sache, man verliert sie, nicht sofort, aber Stück für Stück. Am Anfang merkt man es nicht, aber sobald der Teil einmal die Kontrolle übernommen hat, ist es vorbei. Ich versuche noch irgendwie an der Kontrolle festzuhalten, ich entwickle Methoden und Mechanismen, ungewöhnliche, vielleicht auch ungesunde, aber es ist die einzige Möglichkeit damit ich mich selbst noch nicht ganz verliere. Den ganzen Tag nichts zu essen wäre ein Beispiel und mir selbst den Schlaf zu verbieten ein anderes.
Und dass ich erneut gegen den Teil in mir verloren habe, weiß ich, wenn ich wieder einmal in der Ecke sitze, keine Luft bekomme, mein ganzer Körper zittert, Panik in mir ausbricht und ich nur noch nach Hilfe schreien möchte. Aber kein Ton kommt aus mir heraus. Ich bin am Ende.
Irgendwann finde ich mich auf einer Brücke wieder, schaue hinunter und flüstere dem mittlerweile gut bekannten Teil zu: „Hier, du hast endlich gewonnen.“ Kein „Geh bitte“ mehr, denn wir alle wissen, dass es dafür zu spät ist.
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