Der Geruch der eigenen Einöde
Die Luft um die Bäume ist voller stinkender Spannung. Dieser flache, stille Geruch der eigenen Einöde. Oh, dieses unerträgliche Ziehen am Geist. Ich selbst bin Teil dieser quälenden Situation. Ich habe versucht, ihr zu entfliehen, ich habe sie mitgebracht und in die schweren Äste gelegt, in der Hoffnung, dass die schweigende Weisheit und Lebenskraft der Bäume etwas damit machen können. An Tagen wie diesen, fühle ich mich wie ein kleines Bündel unausgelebtes Leben. Wie eine zu reife Beere, die bald vor Entsetzten explodiert. Wie ein kleiner, heftiger und tragischer Schmerz, der keine Zukunft kennt.
Die Gassen sind still und müde und sanft und unaufmerksam. So sind sie erträglich, die Menschen der Stadt. Einige Fenster leuchten schon. Oder noch. Ich gehe um einen künstlich angelegten Teich im Kreis. Wiederholungen. Sie helfen mir ein Schutznetz zu weben. Das ist es, was Monotonie ausmacht: den Kreis zu schließen, ihn zu verdoppeln, ohne Ende. Bis der Anfang zum Schluss wird. Bis eine undurchdringliche Mauer um mich steht.
Wenn ich so abgeschottet von der Realität bin, sehe ich hin und wieder Dinge, die nicht ganz da sind. Die Menschenwelt überlappt mit einer anderen, ein Übergang, der nur mir sichtbar ist. Nur mir, zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort, in einem bestimmten inneren Zustand.
Heute Nacht sehe ich einen Akrobaten. Um ihn herum wächst ein fremder Wald. . . ein Wald mit Zikaden, Weizen und Nebel. Katzenartige Bewegungen im Wind. Stark und genau wie ein Augenblick. Seine Haut glänzt goldbraun unter den Laternen. Gliedmaßen in der Luft, raues Gras streift die Beine. Rohe Kraft, trotzdem leicht und artistisch. Der Mann bekommt überall dunkle Haare auf der dunklen Haut: seine Hände werden zu anmutigen Tatzen; der Abstand zwischen seinen Schläfen wird größer; seine braunen, fast schwarzen Augen bekommen einen dunklen Umriss; seine Wirbelsäule wird länger, seine Beine werden kürzer; der Mann wird ein Panther. Ein Panther mit glänzendem, blaustichigem Fell und wachsamen Augen. Bewegungen nicht weniger machtvoll, aber animalischer. Der Wind wird bedeutender, Zikaden werden lauter. Die Spannung um die Äste wird erträglich, die Raubkatze nimmt die Einöde mit, sie nimmt sie mit und verscheucht das Ziehen am Geist.
Ich weiß es besser, als mich dem Geschöpf zu nähern. Wenn man diesen mystischen Visionen zu nahekommt, verschwinden sie. Er würde zu dem groben Gras unter seinen Tatzen werden, als hätte es ihn nie gegeben, als wäre ich verrückt geworden. Das war immer schon mein Schicksal: genau beobachten, wie ein Jäger der Schatten fängt. Unbemerkt und unbeteiligt.
Auch wenn ich weiß, dass meine fiebrigen Anfälle nicht wahr sein können, kann ich nicht anders, als mich in die Geschichten und Gesichter zu verlieben. Wer würde diesen geheimnisvollen Momenten denn sonst Leben einhauchen, wenn nicht ich? Ich werde sie verfolgen, wie ich den Kreis um den Teich verfolge: bis der Anfang zum Schluss wird und umgekehrt, ohne Ziel, ohne Ende.
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