Der Klang der Erinnerungen
„Heute muss ich einkaufen gehen“, das sagte sie sich schon seit Tagen. Wackelig verließ sie das Bett und blickte auf die leere Seite. „Wie lang seine Reise wohl noch dauert?“ Ohne ihn war die Stille ungewohnt. Sie schloss ihre Augen und blickte zurück zu den alten Augenblicken, die dieses Haus erschuf. Langsam füllte sich der Raum mit Lachen. Leise, aber dennoch klar. Sie hatte kein Bild vor den Augen, doch die Erinnerungen zu hören genügte.
Plötzlich klopfte es an der Tür. Eine junge Frau mit Putzsachen stand davor. „Guten Morgen, ich bin die neue Putzfrau.“ „Ich habe nie eine Putzfrau bestellt?“ „Keine Sorge, ihr Mann hat mich beauftragt, während er weg ist.“ All die Jahre und er schaffte es immer noch sie zu überraschen. „Bitte kommen sie herein. Wie heißen sie?“ „Ich heiße Livia, aber sie können mich Via nennen.“ „Ein schöner Name. Ihre Eltern haben Geschmack“, lobte sie. „Eher meine Mutter, aber ich gebe ihnen Recht. Ich mag meinen Namen auch.“ Via lächelte sie an und ein vertrautes Gefühl überkam sie.
In kürzester Zeit hatte Via bereits die Hälfte des Hauses fertig. Als sie endlich einkaufen gehen wollte, hielt Via sie jedoch zurück. „In ein paar Minuten sollte der Lieferant kommen.“ Verwirrt entgegnete sie. „Ich habe kein Lieferant bestellt?“ Es klopfte und Via eilte zur Tür. Ein junger Mann trat ein. „Guten Morgen. Ihr Mann hat mich beauftragt den Einkauf zu machen und ihnen zu helfen.“ Sie war überrascht, nahm jedoch die Hilfe an. Ein bisschen Unterstützung und Gesellschaft, war genau das, was sie jetzt brauchte.
Der junge Mann hieß Leo und als Dank, beschloss sie, die beiden auf einen Kaffee einzuladen. Der Augenblick fühlte sich so vertraut an, als wäre er ein ewiges Déjà-vu. Kurze Abrisse von vergangenen Erinnerungen tauchten vor ihren Augen auf, verschwanden jedoch blitzschnell. Sie flüchtete in die Küche, aber die Erscheinungen hörten nicht auf. Immer mehr schlichen sie sich langsam in ihren Kopf. Es wurde zu viel. Voller Verzweiflung blickte sie zu den Beiden am Tisch und erschrak. Ihre Sicht war endlich klar, bis ihre Tränen alles wieder verschmierten.
Es war so ein simpler Augenblick zwischen Via und Leo, doch er erweckte alle ihre Erinnerungen.
„Mama“, rief Via, als sie ihre weinende Mutter sah.
Sie umarmte die Beiden und wollte schon gar nicht mehr loslassen. „Oh meine Kinder. Wie habe ich euch vermisst.“ Stunden vergingen, in denen die beiden ihrer Mutter alles Mögliche erzählten, während sie ihnen glücklich zuhörte. Bis spät in die Nacht redeten, lachten, oder weinten die Drei. Besonders wenn über den verstorbenen Vater gesprochen wurde, doch das störte sie nicht. Sie würde immer ihre Kinder haben und die Augenblicke mit ihnen, war das, was sie am meisten schätzte - die Erinnerungen, auch wenn sie nur kurz blieben.
Spät verließen die Beiden das Haus der Mutter. Diese ging mit erfülltem Herzen ins Bett, die Gedanken bei ihren Kindern. Als sie am nächsten Tag aufwachte, blieb ihr nur noch einer.
„Heute muss ich einkaufen gehen.“
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