Der letzte Augenblick
Ich
Wenn ich anderen Menschen in die Augen blicke, kann ich sehen, wie die Person stirbt. Das war schon immer so und wird immer so bleiben, vermute ich. Ihnen allerdings etwas von meiner „Gabe“ zu erzählen, ist keine gute Idee. Kein Versuch ging gut aus und die Psychiatrie war oft nur einen Anruf entfernt, sagt meine beste Freundin Laura immer. Sie ist auch die Einzige, die mir jemals geglaubt hat.
Ich weiß nicht, wann die Person stirbt, wo oder warum, aber ich sehe ein einziges Mal, das, was sie als Letztes sehen wird, sobald ich sie einen Augenblick richtig angeschaut habe. Wann genau ich aber den „Todesmoment“ sehe, kann ich nicht kontrollieren. Von manchen Personen in meinem Leben, die ich schon seit vielen Jahren kenne, hatte ich immer noch nicht diesen einen Blick. Früher machte mir meine „Gabe“ große Probleme, aber mittlerweile bin ich daran angepasst. Doch es ist schon etwas eigenartig, zu wissen wie seine Familie sterben wird, ohne es ihnen mitteilen zu können. Wenn ich mir in die Augen schaue, sehe ich allerdings nichts. Das ist fast noch eigenartiger, zumindest für mich.
Allerdings denke ich daran gerade nicht, während ich mit meiner besten Freundin endlich durch die Sicherheitskontrolle gehe und in die riesige Halle schreite. Auf diesen Tag warten wir schon seit Monaten, als wir uns die Tickets für dieses Konzert gemeinsam gekauft haben. Sie dreht sich zu mir um und lacht einmal laut und unkontrolliert. Ihre Vorfreude steckt mich an und ich nehme ihre Hand und ziehe sie vor, noch etwas näher zur Bühne. Das stundenlange Warten vor dem Eingang hat sich definitiv ausgezahlt. „Jetzt kann es endlich beginnen“, denke ich mir aufgeregt, als mir plötzlich schlecht wird. Das kurze Unwohlsein war so schnell wieder weg, wie es gekommen ist, doch ich sehe mich verwundert um, um nachzusehen, was es wohl ausgelöst haben könnte. Nichts Ungewöhnliches, viele Menschen um mich gedrängt, gedimmtes Licht und rote Strahlen. Das Gefühl, das alles schon einmal irgendwo gesehen zu haben, kommt in mir hoch. „Hey, was ist los?“ Laura rüttelt an meinem Arm und ich schaue in ihre großen, besorgten Augen. Mein Magen dreht sich noch einmal stärker um. „Alles gut, ich bin gleich wieder da“ „Sicher?“ Ich dränge mich bereits durch die Menge und bemerke, dass Laura mir mit gerunzelter Stirn nachsieht. Ich lächle ihr unsicher zu. Es konnte nicht wahr sein. Einmal Gesicht waschen und dann ist alles wieder vorbei.
Laura
„Was war denn da gerade los?“, überlege ich, während ich mich erinnere, wie sie für einige Sekunden reglos zur Bühne starrte und aussah, als würde sie sich gleich übergeben. Ich schaue in die Richtung, in die sie vorher blickte. Lauter Köpfe in dem gedimmten Licht unterbrochen von roten Strahl-
Ich spüre die Hitze vor der allesübergreifenden Druckwelle, die mich zu Boden reißt, und die Schreie höre ich gar nicht mehr.
Ich
Alles, was ich sehe, sind Flammen.
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