Der letzte Tag des Endes
In dieser sonst so lauten Welt waren nur noch meine eigenen Schritte zu hören. Ungewöhnlich langsam. Ungewöhnlich ziellos. Ich musste nirgendwo sein, hatte nichts zu erledigen. Meine Stimme hatte ich so lang nicht mehr benutzt, dass ich fast vergessen hatte, wie sie überhaupt klang. Meine Schritte trugen mich weiter. Ohne Ziel, ohne Grund. Ich sah die dunklen, leeren Straßen, die Gebäude, in denen zum Teil noch Licht brannte. Die letzten Anzeichen, dass dieser Planet einmal bewohnt worden war. Dass dieser Planet einmal das Zuhause von Milliarden Menschen, Tieren und Pflanzen gewesen war. Jetzt gab es nur mich. Nur mich und meine Gedanken. Meine Gedanken und mich. Ich schlenderte weiter, bis ich mich am Hafen wiederfand. Ich schloss meine Augen und lauschte dem gleichmäßigen Rauschen der Wellen. Als ich sie wieder öffnete, erblickte ich sogar Wale, die, seitdem keine Menschen mehr hier lebten, friedlich im Hafen schwammen. Meine Mundwinkel zogen sich nach oben und ein sicheres Lächeln huschte über mein Gesicht. All die Tränen, Verzweiflung und Angst der letzten Wochen waren verschwunden. Als hätte der Wind sie mit sich getragen, als er diese Nacht durch mein Haar wehte. Ich drehte mich um und erstarrte, bei dem was ich sah. Ich spürte, wie das Blut durch meine Venen schoss. Einige Meter entfernt stand jemand. Eine Person, gehüllt in schwarz, das Gesicht verdeckt. Sie kam auf mich zu, wurde immer schneller. Ich wollte rennen. Ich musste. Doch meine Beine waren in den Boden verwurzelt, als wäre es nie möglich gewesen, sie zu lösen. Die Gestalt stand vor mir. Eine unheimlich kalte Luft strömte auf mich zu. Mit dem Rücken stand ich zum Wasser, mit dem Gesicht dem Tod gegenüber. Seine Augen zeigten sich, und in dem Moment sah ich nichts als Leere. Eine blutrote Rose streckte sich mir entgegen, die ich, ungesteuert von Gedanken oder Gefühlen, ergriff. Es war, als hätte ich mich mein ganzes Leben darauf vorbereitet. Als hätte ich nur darauf gewartet. Als wäre die rote Rose der kalten Luft das Einzige, was ich jemals annehmen wollte. Das nächste, was ich spürte, war ein mit eiskalter Luft umgebener Kuss auf meine Stirn. Doch er war wärmer, als alles andere, was ich je gefühlt hatte.
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