Der Letzte
Das Fenster in der vereinsamten Mauer gähnte rot voll früher Abendsonne. Staubgewölke flimmerten zwischen den steil gereckten Schornsteinresten. Die Schuttwüste döste. Er hatte die Augen zu. Mit einmal wurde es noch dunkler. Seit diese fremden Wesen auf die Erde gekommen war, schien es nie wieder ganz hell geworden zu sein. Jemand war gekommen und stand nun vor ihm dunkel, leise. Jetzt haben sie mich, dachte er.
Er war der Letzte, ganz auf sich allein gestellt. Vielleicht wäre es einfacher aufzugeben, vielleicht, ganz vielleicht, würde dieser ganze Schmerz dann endlich aufhören. Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht, diesen fremden Wesen nun die ganze Kontrolle zu überlassen. Vielleicht war es nun, wo der Planet Erde ohnehin fast gänzlich zerstört war, gar nicht mehr Wert zu kämpfen. Vielleicht konnte er einfach nicht mehr.
Doch ein vielleicht war ihm noch nie genug gewesen. Und deswegen musste er weiter.
Durchflutet von einer rauschenden Welle von neuem Mut riss er die Augen auf, um in die Augen seines Gegenüber zu sehen. Sie waren kalt, leblos, ein Schatten von vergangenen Zeiten. Wie alles hier. Das Leuchten war aus den Gesichtern der Menschen verschwunden. Und wenn er nun nicht handelte, würde seines auch verschwinden. Mit letzter Kraft schwang er sich über den nächsten Schornstein, und er würde es schaffen, ja, er könnte die Überraschung seines Gegners sicherlich ausnutzen - als ihm plötzlich ein stechender Schmerz am Bein durchzuckte. Alles begann sich zu drehen, das letzte Abendrot mischte sich mit den dunklen Flecken vor seinen Augen zu einem Meer aus Farben. Er sah Alles und Nichts gleichzeitig, und vielleicht wäre das nun das Ende gewesen, wenn er nicht unbedingt weitergemusst hätte. Orientierungslos ließ er seinen kleinen Körper durch den Schornsteinrest fallen, und nicht einmal der harte Aufprall konnte seinen Schwindel verdrängen. Er spürte den rauen Stein unter sich. Alles fühlte sich dumpf an, wie durch einen Schleier. Aufgeben… würde er doch nur einfach aufgeben können… doch er konnte einfach nicht. Nicht nach all den Jahren, die er für seine Freiheit gekämpft hatte. Er rappelte sich auf. Das Feuer in ihm war noch nicht erloschen, und nun musste er rennen, schneller, schneller, immer weiter weg. Er spürte den Atem seines Feindes im Nacken, kurze, keuchende Atemzüge einer kaputten Lunge. Die Luft hier war verseucht, nicht mehr für menschliche Lungen gemacht.
Er konnte es einfach nicht schaffen. Gleich würde man einholen, seine Beine würden nachgeben, er hatte einfach nicht mehr die Kraft für all das.
Doch plötzlich hörte er ein Zischen, das Flüstern einer Stimme, die er schon viel zu lange nicht mehr vernommen hatte. Er musste sich täuschen, er musste in den letzten Sekunden seines Lebens nun schon Stimmen hören, nun würde es aus sein. Ein Knall. Schwarz. Schreie. Er spürte eine kleine, raue Hand, die ihn in einen verlassenen Hauseingang zog.
Er hätte nicht gedacht, sie je in seinem Leben wieder zu sehen.
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