Der Leuchtturm
Die Wellen brachen krachend in der Bucht. Die Gischt schwappte über die Steine und bis zu meinen Zehen. Das Wasser war kalt. Der Wind peitschte mir ins Gesicht und ich ließ meinen Blick über die Weiten des Ozeans schweifen. Du setztest dich neben mich und gemeinsam schauten wir, wie die Sonne langsam hinter dem schier endlosen Ozean verschwand und uns mit dem Mond und den Sternen allein ließ.
Wir trafen uns jeden Tag, oben auf der Klippe, setzten uns auf die alte Holzbank und schrieben Geschichten in unsere Bücher. Manchmal tauschten wir unsere Notizen aus und lasen, was der andere geschrieben hatte. Wir redeten nicht oft, doch wir wussten durch unsere Geschichten alles übereinander. Manchmal, wenn uns der Sinn nach etwas anderem war, gingen wir hinunter in die Bucht, erkundeten alte Schmugglerhöhlen und gingen anschließend zu dem alten Leuchtturm. Niemand wusste, wer den Leuchtturm gebaut hatte. Die Leute im Dorf meinten, er sei so alt wie das Meer selbst. Doch das glaubten wir nicht. Der Leuchtturm erstrahlte jede Nacht, doch wir sahen keine Menschenseele den Leuchtturm betreten oder verlassen. Manchmal erzählten wir uns Geschichten über den Leuchtturm. Über die Geister der Schmuggler oder Schiffbrüchigen, die in dem Leuchtturm wohnten. Ich habe es dir nie gesagt, doch dies waren meine liebsten Momente mit dir.
Ich sah dich das letzte Mal an einem stürmischen und regnerischen Tag im Oktober. Wir hatten beschlossen, den Leuchtturm zu erkunden. Mit Taschenlampen ausgerüstet, öffneten wir die Tür und begannen die Stufen des alten Leuchtturms hochzusteigen. Es roch nach Algen und ein eisiger Wind wehte uns entgegen. Die Mauern waren brüchig und modrig. Als wir endlich oben ankamen, blieb uns der Mund offenstehen. Der Ausblick war unglaublich. Die tosende See erinnerte uns an die Unendlichkeit.
Eines der großen Fenster war zerbrochen und wir schauten in den Abgrund. Es war erschreckend und wunderschön zugleich. Mir lief ein Schauer über den Rücken und ich trat einen Schritt zurück. „Pass auf, dass du nicht hinabstürzt“! sagte ich zu dir. Doch du schienst mich nicht zu hören. Du sahst nur das Meer, du warst wie hypnotisiert. Ich wollte dich warnen. Doch es war zu spät! Es war ein Schritt zu viel. „Nein“, schrie ich aus vollem Leib. Doch es war zu spät.
Ich werde um dich trauern, hoffen, dass du zurückkämest. Doch du warst weg. Für immer.
Ich schaue hinaus auf den Ozean, sehe jeden Abend das Licht des Leuchtturms in der Dunkelheit scheinen und denke an dich.
Ich wünschte, wir hätten den Leuchtturm nie erkundet.
Ich wünschte, ich hätte dich gerettet.
Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen.
Doch die Zeit läuft unaufhaltsam weiter. Sie hat kein Ende.
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