Der Mann mit Hemd
Und er wachte auf. Das Herz rast, der Schweiß im Nacken und Blut, überall. Blut auf dem Lenkrad, Blut auf den neuen Ledersitzen, Blut am Handy. Ein Auto steht vor ihm, nein viel eher klebt es an seinem Wagen. Der Begriff "Auto" für das, was er vor sich sieht, passt auch nicht mehr ganz, sowas nennt man eher Totalschaden.
Was geschehen sei, wo er sei , was er hier mache, überlegte er, als ein scharfer Schmerz durch den linken blauen Arm zischte. Mit dem Schmerz kam auch die Erinnerung:
Er hatte gerade erst sein erstes Auto gekauft, einen alten aber tüchtigen Mercedes, S Klasse selbstverständlich. Hart gespart und ehrlich gezahlt. Es war die Jungfernfahrt, fast. Ja, er war etwas über den Tempolimit, ja, er hatte nicht immer geblinkt, aber die Straße war doch leer. Zumindest schien es so, als er einen kurzen Augenblick nicht bei voller Konzentration war, wieder nicht blinkte und in das Auto vor ihm mit hundertdreiunddreißig Sachen reinfuhr.
Nicht nur der linke blaue Arm schmerzte, auch der Kopf dröhnte. Ach, was er jetzt für ein Aspirin täte. Plötzlich fuhr es ihm kalt über den Rücken: Was ist mit dem Fahrer im Auto vor ihm passiert?
Er sieht es schon vor seinen Augen: Totschlag, Höchststrafe, 720 Tagessätze. Soll er jetzt schnell davonlaufen , ein Flüchtiger vor dem Gesetz werden? Er kann nicht klar denken, sein Gehirn gibt grad nicht genug Leistung her, denn es fließen vom ganzen Körper zu viele Schmerzsignale in die Zentrale, die sein Hirn sehr wohl gut verarbeiten kann.
Das Auto qualmte wieder weniger von vorne, der Geruch ist von verdampftem Glasreiniger in frisch angezapftes Benzin übergegangen. Er versuchte sich weiter zu sammeln, doch dann öffnete sich die Tür des Autos vor ihm. Ein stämmiger Mann, Mitte 40, groß wie ein Bär, dichter Schnurbart. Der Mann trug ein weißes Hemd, zumindest war es das vor dem Unfall, aus diesem Hemd sprießte es nur so von Brusthaaren, mehr als er am Kopf trug.
Er sah den Mann zu ihm kommen, schlecht wurde ihm, so schlecht wie ihm in seinem ganzen Leben noch nie schlecht wurde. So übel, dass anstatt sich zu übergeben sein Mageninhalt (Kebab scharf, Lamm) hin bis zum Hals und wieder zurück schoss.
Das ist sein Ende, der Mann wird ihn vernichten, zur Strecke bringen, eleminieren, kleinstückeln und sonst noch alles.
Schon kam der Mann in seine Richtung. Sein Gesicht ist tiefrot, in seinen Augen lodern die Flammen der rohen Gewalt, die Grimasse des Todes zeigend.
Eine Lösung muss her, schnell. Er musste seine ganze Denkmasse sammeln, für diese eine Aufgabe: Überleben.
Der Mann kam zu ihm, klopfte, nein donnerte gegen das Fenster. Er kurbelte das Fenster runter und wartete nicht, er versprach ihm sofort eine Summe Geld, mehr als er wohl je verdienen wird.
Dann kam das Unerwartete: "Geh bitte", sagte der Mann mit leicht wienerischem Akzent. Der Mann machte eine ablehnende Handgestik und fuhr fort: "Vergiss des Auto, des is eh scho älter. Wichtig is, des es da gut geht, Junge. Bist deppat, des Auto ist vollgeblutet. "
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