Der Mann namens Frederika
Es war vor fünf Jahren, in der dritten Klasse. Vor mir, auf der Straße, da spazierte einst ein Mann.
Sein Name erklingt noch heute in schallenden Lettern: Lars-Olaf-Jan Frederika. Warum ich weiß, wie er heißt? Er ist, gelinde gesagt mein Erzfeind. Ein Mann, dessen einziges Handwerk es ist, Kindern die Zunge im Mund zu verknoten, bei dem Versuch, seinen Namen zu formulieren und seine gestellten Fragen mit 110 prozentig richtigen Antworten zu beantworten. Noch kaum ein wagemutiger Herausforderer dieses… Mannes hatte noch den vollständigen Zugriff auf die eigenen Körperteile; die schiere Grausamkeit seinerseits hatten sie partiell erlahmen lassen. Und jener war stolz auf sein Werk. Vom Beruf war er Mathe- und Deutschlehrer, in seiner Freizeit brachte sein Kopf Hirnzellen von Minderjährigen zum Schmelzen, die noch nicht in der Lage waren, Vornamen als Nachnamen zu verwenden. So war er immer nur mit „Herr Professor“ angesprochen worden, „Herr Frederika“ hatte noch kein Schüler gewagt auszusprechen.
Er schlurfte nun vor mir den Gehsteig entlang. Nach drei Minuten und einem halben, 200 Meter langen Häuserblock, den ich, gezwungen von mir entgegen strömenden Passanten, hinter meinem Klassenvorstand her schlich, beschloss ich für mich, all den Qualen ein Ende zu setzen. Genug zeitverschwendendes auf der Stelle Treten. Genug Mathehausaufgaben, genug von langweilender Literaturgeschichte, deren einzig unterhaltsamer Beitrag zum täglichen Schulgeschehen das Rinnsal von Schweiß war, das sich unter der pochenden Stirnader des Professors bildete, wenn die Klasse mal wieder kein Wort Faust gelesen hatte. Ich nahm meinen Mut zusammen und die Beine in die Hand, machte einen großen Schritt zur Seite und war mit dem zweiten Auftreten vor diesem grausamen Menschen angelangt. Ich baute mich vor ihm auf: „Herr Frederika, wissen Sie eigentlich, wie unheimlich langsam Sie gehen? Und wenn wir schon dabei sind, wissen Sie, warum keiner Faust liest? Ich werd Ihnen sagen warum: Weil das fad ist. Wir sollen 5 Bücher pro Monat lesen. Genug davon. Ich bitte Sie hiermit passiv aggressiv im Namen der Klasse 8D: Streichen Sie 80 Prozent der Hausaufgaben, und wir bringen sie auch. Genug gelesen in Deutsch. 140 Bücher seit der zweiten Klasse, das reicht!“
Er hatte die ganze Zeit über nichts gesagt und erregt wie ich war, sprudelte ich weiter meine Wut hinaus: „Und warum, warum zum Teufel muss ich Sie noch siezen? Wir sind außerhalb des Schulgebäudes, bitte, kann ich wieder Lars zu dir sagen, Papa? Seit du mich unterrichtest, ist da diese eiskalte Stille zwischen uns, ich will das nicht mehr. Seit du und ich allein sind, seit Mama… Aus, genug davon!“
Und dann tat der Mann, der seit dem Tod seiner Frau mein Leben und das meiner Klassenkameraden zur Hölle auf Erden gemacht hatte, genau das, was er immer gemacht hatte, wenn jemand seine Prinzipien des Unterrichts hinterfragt hatte. Er lächelte, grüßte, und stieg in sein Auto ein. Im Wegfahren hielt er noch den Mittelfinger aus dem Fenster.
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