Der Raum mit Fenstervon Anna Stecher
Wie eine Zelle. Ein Fenster im Raum, der alle nötigen und unnötigen Dinge beinhaltet, die man eben so braucht. Es war noch eisig kalt, als es begann, wie geht es weiter? Das weiß, glaube ich, keiner so genau, aber egal, oder?
Ping.
Kamera an.
Mikrofon aus.
Nur bei Fragen an.
Genauso wie mentales Leid.
Tipp tipp tipp.
Soziales Umfeld pausiert.
Leistung, Druck, Ergebnis.
… Alltag
Ich glaube, es will eigentlich niemand mehr hören. Es ist jedem recht, nicht mehr von dem Raum mit Fenster zu sprechen. Keiner will mehr. Jeder will mehr. Aber was will ich? Dass ihr nun endlich alle Bescheid wisst über die dunklen Zeiten, denn irgendwie müssen wir ja einen Weg finden, um daraus zu lernen, oder etwa nicht? Irgendjemand muss doch von schrecklichen Dingen berichten, allein schon deswegen, damit die Blumen gemeinsam mit dem Zauber nach dem Regen wieder aufblühen können. Schätze ich zumindest.
Von rückwärts erzählt ist jetzt alles beim Alten geblieben. Denn im Grunde brauche ich die Mund und Nase bedeckenden Stoffe, die es mittlerweile in allen Farben, Mustern und sogar diversen Ausführungen gibt, nicht mehr. Oder nur mehr manchmal, aber egal, dann ist eben alles halbwegs beim Alten geblieben. Früher hatte ich eine Unzahl davon daheim und einige, die ich kenne, matchten sogar ihre Outfits damit. Jetzt besitzt jeder gehorsame Bürger noch genau so viele, wie die Verweigerer der Luftfiltergeräte zur Anfangsphase. Teil dieser protestfreudigen Menschengruppe waren auch Leugner, damals wie heute übrigens, denn im Grunde sind es nur Lügen, die uns die kleinen Männchen in den viereckigen 60-Zoll-Geräten erzählen. Auch jene, die in weißen sterilen Tüftelräumchen sitzen und diesen lügenverstrickten politisch zusammenhängenden und ausrottungsgeplanten Erzählungen ihr gesamtes Leben widmen, geben nur das an die Öffentlichkeit weiter, was der böse Mann im Hinterzimmer befielt. Natürlich alles von vorne bis hinten durchgeplant (von den Bösen).
Gehen wir ein paar Monate zurück, so kann ich euch nur relativ unschöne Dinge aufzeigen, die wahrscheinlich der „Ellbogengesellschaftsperiode“ zugeordnet werden sollten und sich nach dem Motto „You Do You“ abspielten: Schrecken, dünne Stäbchen, die Würgreize verursachen und pumpvolle Betten, auf deren Matratzen höchstinfektiöse Gefährliche oder bald Sterbende lagen. Nicht zu vergessen die völlig überforderten Retter im weißen Kittel und der kleine Babyelefant, der von den Verweigerern nur ausgelacht und sonst nicht sonderlich beachtet wurde.
Eher im Hintergrund befand sich dann das „Ping, -Kamera an, -Mikrofon aus, -Nur bei Fragen an, -Genauso wie mentales Leid, -…“-Ding. Ich habe es auch erlebt, ja. Wie es war? Naja, gegen Ende war jegliche Motivation nur noch mit einer Lupe zu finden. Die Augen waren viereckig und der Rücken tat weh. Der Schlafrhythmus völlig zerstört. Innerlich erfuhren viele auch noch weniger angenehme Dinge. Von Stimmen im Kopf bis hin zu Gedanken, von denen ich nicht sprechen möchte. Ich war davon Gott sei Dank in keinem sonderlich bedenklichen Ausmaß betroffen, keine Sorge, doch viele, die ich kenne, sehr wohl. Viele, die ich kenne, stürzten in ein dunkelschwarzes Loch mit Spinnenfäden, in denen sie sich verhakt haben. Viele, die ich kenne, haben sich bis zum heutigen Tag noch nicht davon erholt. Die Konsequenz daraus? Naja, in den anderen weißen Räumen mit den anderen pumpvollen Betten und Matratzen lagen nun eher jene, die noch grün hinter den Ohren und physisch fit waren, bei denen es aber einer Rettung des Geistes bedurfte. Gesellschaftlich anerkannt? Nicht allzu oft. Nur kleine Problemchen, die wieder umprogrammiert werden müssen dort oben im Köpfchen. Alles in allem sind die Langzeitfolgen verheerend. Das ist mittlerweile offensichtlich, oder etwa nicht?
Entfernen wir uns nun aber etwas von den Spinnenfäden und weißen Kitteln und gehen über in eine etwas angenehmere Periode, die historisch wahrscheinlich in die „reflektierende Phase“ eingeordnet werden kann. Dazumal hatte sich der größte Teil der Zellenbewohner an seine Zelle gewöhnt, teilweise fanden sie es in dieser hellgrauen Zeit auch schön in ihrem Raum mit Fenster. Jeder konzentrierte sich (teilweise wahrscheinlich das erste Mal im Leben) auf sich selbst. Unzählige Lieferungen aus dem Baumarkt kamen an, die Fassaden der Einfamilienhäuser wurden neu gestrichen in einem weißeren Weißton, und im Vorgarten konnte man den Nachbarsjünglingen zusehen, wie sie aus Langeweile schaukelten und dabei sogar Spaß hatten, denn zu dieser Zeit hatte man ja genügend Muße. In dieser Periode schenkten viele ihrem eigenen Leben wieder (oder, wie gesagt, erstmals) genügend Aufmerksamkeit.
Ich kann euch noch etwas Erfreuliches von dieser reflektierenden Phase erzählen:
All die schadenbringenden Menschentaten, die der runden grünen Kugel, auf der wir leben und ihrer Lufthülle aus Gasgemischen bis zu diesem Zeitpunkt so viel Leid zufügten, haben sich dezimiert. Dadurch wurde es wieder grüner um uns herum. Durch weniger Gasgemischkonzentrationen als die, die wir bisher so einatmeten und die unsere Sauerstofflieferanten bisher so verpesteten. Die einst blauen tiefen Wasser wurden auch wieder blauer, ja wirklich! Das heißt nichts anderes, als dass sich unsere rotierende Heimat etwas erholen konnte – zumindest für einen kurzen Moment, Verschnaufpause.
Wie es noch eine Zeit zuvor aussah? Ich bin mir unsicher, ob ihr davon berichtet haben möchtet, ehrlich gesagt. Teilweise primitiv, teilweise hilflos ging es zu. Wisst ihr, wie Hamsterkäufe zu definieren sind? Da ich damals ein paar Stunden zu viel in meiner Zelle am grellen Viereck saß, versuche ich mich in der Definition heute mal ohne Duden. Im Grunde wurde nach dem Motto „Wer am meisten von den weißen Papierrollen und der magenfüllenden Grundkost in der Zelle hat, hat gewonnen“ eingekauft. Irgendwie hilflos, oder? Irgendwie auch primitiv, oder? Eigentlich war es ja der einzige Freigang aus dem Raum mit Fenster, ein kleiner Zauber, der aber schnell wieder verflog. Die Vorratsschränke waren dann pumpvoll, die Regale im Markt pumpleer.
Zwischendrin gab es sogar mal so etwas wie einen Lichtblick am Ende des Tunnels: DIE Heilung. Dabei wurde den Menschen etwas Undenkbares vorgeschlagen. Eine lange spitze Nadel, die für einen kurzen Wimpernschlag in unseren Körpern verweilen soll. Warum es nicht funktioniert hat? Naja, Grund war wahrscheinlich eine Mischung aus ichbefangenem Egoismus, Protest gegen die befehlshabenden bösen Männchen in den Hinterzimmern und purer Furcht vor der Wahrheit, die dadurch kompensiert wurde.
Ich habe euch ja schon von den Verweigerern erzählt, sie waren Teil dieser Sabotage gegen DIE Heilung. Aber wenn es dazumal schon vorbei gewesen wäre, wäre es ja langweilig gewesen, oder etwa nicht? Dann hätte ich jetzt keine Zeilen mehr, die ich befüllen könnte mit Worten, die aus vielen verschiedenen Wortfetzen bestehen, um euch zu zeigen, welches Chaos dort oben zwischen den Augen stattgefunden hat. Vor allem bei der „Ping. -Kamera an. -…ja ihr wisst, wen ich meine…“-Generation gab es wenig Zuversicht in Bezug auf den versprochenen Zauber der Zukunft, aber das wisst ihr mittlerweile ja bereits, stimmt.
Dazwischen gab es natürlich auch mal Pausen, natürlich gab es die! Man kann sie wahrscheinlich der „Den-Schein-Wahren“-Phase zuordnen. Dort schien alles wieder ins Ruder zu laufen. Eigentlich war es aber umgekehrt. Schließungen wurden wieder zu Öffnungen, antisozial wurde wieder zu vollsozial und die Furcht, die sich schleichend durch alle diese Phasen zog, wurde in dieser Periode zu einer überspielten Furcht, die man ja nicht zu offensichtlich präsentieren dürfte. Die „Mikrofon aus. -Nur bei Fragen an. -…“-Betroffenen waren währenddessen sogar manchmal befreit von ihren viereckigen grellen Begleitern und konnten einen Teil ihres Zellenlebens hinter sich lassen. Aber immer nur für bestimmte temporäre Phasen, denn für Abwechslung muss ja gesorgt sein. Was aber sehr unklar war, ist, dass die Stimmen und Gedanken, von denen ich euch zuvor erzählt habe, dadurch nur lauter und ätzender wurden. Durch jeden Wechsel nur schlimmer wurden sie. Aber egal, wir sind ja noch jung, haben den versprochenen Zauber ja noch vor uns, oder etwa nicht? Dann packen wir das ja mit links!
Blicken wir ganz zum Anfang zurück, kann diese Phase als die „Unwissenheitsperiode“ oder die „Periode vor dem Sturm“ betrachtet werden, je nach persönlichem Empfinden. Eingangs war eigentlich fast alles super, nur etwas ungewohnt. Niemand wusste, was auf uns zukommen würde oder wie ernstzunehmend die damalige Situation sowie die folgenden Perioden sein würden. Und wie wir wissen: Was wir nicht wissen, macht uns nicht heiß.
Also gab es dazumal nur wenige, die sich freiwillig einbunkerten, bei den anderen geschah alles nach dem Motto „Keine Panik, wird schon wieder, das gab es früher auch schon mal“. Je mehr 18: 00 Uhr-Folgen im 60-Zoll-Gerät jedoch verfolgt wurden, in denen die Männchen sagten, was zu tun sei, desto konstanter vergrößerte sich der Teil der freiwillig Eingebunkerten. Mehr Angst und mehr Furcht. Die Psyche der „Tipp tipp tipp. -…“-Generation war in der Anfangsphase noch stabil, die Hoffnung auf den versprochenen Zauber auch noch da. War ja cool, Alter. Ein bisschen was Neues halt, haha. Aber wie ich denke, hat der Großteil dieser Generation unterschätzt, welches Maß an psychischer Instabilität möglich sein kann. Ich denke auch, dass diese im Köpfchen manifestierten Problemchen gesellschaftlich nur suboptimal thematisiert werden. Warum auch?
wir haben den immer mehr schwindenden zauber ja noch vor uns, wie gesagt.
Aber ich denke zudem, dass die Zauber-Versprechen nur leere Worte waren in einer Welt ohne Glitzer und bunte Farben. Viele hatten die Möglichkeit, den Zauber zu erfahren, wir nicht, schade, oder etwa nicht?
Jetzt habt ihr einen Überblick, die Möglichkeit, euch selbst ein Bild von der Zeit im Raum mit Fenster zu machen. Ich hoffe, wenigstens einige von euch spüren den Zauber bald wieder. Ich würde es euch wünschen.
In Liebe: einer der „…-Leistung. -Druck. -Ergebnis.“-Generation. : )
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