der Tag, an dem mein Leben begann
28. Jänner 2022, stockfinster.
Ist es vorbei? Ist das das Jenseits? Ich fühle mich immer noch so müde. Ich liege auf etwas Weichem. Eine Wolke? Bin ich im Himmel? Ich bleibe liegen.
28. Jänner 2022, Sonnenaufgang.
Mein Wecker läutet. Mein Wecker läutet? Bin ich nicht schon im Jenseits gelandet? Hat es gestern wieder nicht funktioniert? Ich habe mich doch mehr bemüht als letztes Mal. Ich habe wieder versagt.
Aber diesmal weiß keiner Bescheid, nur ich und du.
Liebes Schicksal, warum lässt du mich meine Geschichte nicht zu Ende schreiben? Warum hältst du mich noch fest? Es tut so weh.
Ich liege in demselben Bett wie gestern, keine Wolke, kein Himmel. Ich stehe auf, mein Körper schwer.
Ich schaue aus dem Fenster, den Sonnenaufgang habe ich wohl grade verpasst. Auf der großen Tanne des Nachbarn liegt ein wenig Schnee. In demselben Augenblick beginnt es zu schneien. Ich liebe den Schnee.
Einige Minuten vergehen, in denen ich einfach nur die fallenden Schneeflocken beobachte.
Mein Handy leuchtet auf: 12 verpasste Anrufe von Eli. Um 03: 51? Wer ruft einen so früh an? Was kann denn so wichtig sein?
Fuck, es ist Freitag; ich muss schon längst in die Schule.
Mein Lieblings-Outfit liegt frisch gewaschen in meinem Kleiderschrank, ich ziehe mich um. Ich packe meinen Laptop in meinen Rucksack, er ist voll aufgeladen.
Im Stress ziehe ich mir noch meine Schuhe an und renne zur Busstation. Sollte der Bus nicht schon vor 3 Minuten abgefahren sein, warum steht er da noch? Der Fahrer steht neben seinem Fahrzeug und raucht seine Zigarette zu Ende.
Entspannt steige ich ein und setze mich auf einen freien Sitzplatz. Normalerweise ist dieser Bus immer überflutet von anstrengenden kleinen Erstklässlern, heute nicht.
Der Busfahrer steigt ein, lächelt mich an und fährt los.
Wenige Minuten vor dem ersten Läuten sitze ich an meinem Platz. Der neben mir ist frei, er bleibt auch frei, Eli kommt heute nicht, dachte ich zumindest, denn er kommt nie zu spät. 08: 26 Uhr, Englisch-Unterricht, Eli reißt die Klassentür auf, schaut die Lehrerin nicht einmal an und setzt sich neben mich.
„Eli, was ist los? Warum hast du mich um 4 Uhr morgens angerufen? Ist alles ok?“
Keine Antwort, nur ein unsicheres Schulterzucken.
13: 35 Uhr, Ende der 6ten Stunde, Geschichte, Anfang der Mittagspause, es läutet.
Eli steht auf, nimmt mich an meinem Arm, dass ich grade noch unsere beiden Taschen in den anderen nehmen kann, verlässt das Schulgebäude.
„Was hast du genommen und wie viel, dass du mich um halb 4 anrufst und irgendwas von Wolken redest und einfach auflegst? Ich hab mir Sorgen gemacht. Was ist passiert?“
„Ich hab’s nochmal versucht. Eli, es tut mir leid. Ich wusste nicht mehr weiter. Ich möchte nicht drüber reden. Heute war ein echt guter Tag, lass uns den nicht kaputt machen, sondern einfach den Moment genießen.“
„Ok, du kannst jederzeit mit mir reden, das weißt du?“
Ich nicke.
„Magst du eine Tschik?“
Ich nicke.
28. Jänner 2022, der Tag, an dem mein Leben begann.
Danke Schicksal.
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