Der unbekannte Verwandte
Ich drehe mich kurz um und sehe ihn im Augenwinkel. Er ist immer noch da. Jetzt steht es endgültig fest, er verfolgt mich. Es ist keine Einbildung. Ich muss schneller gehen. Aber wohin? Ich habe mich im Wald verlaufen. Hätte ich doch weniger getrunken und mir nichts Freizügiges angezogen. Ich habe Angst vor diesem Typen. Es ist überall dunkel. Seine Schritte kommen immer näher. Ich höre sie. Sie werden von Sekunde zu Sekunde lauter. Er kommt immer und immer näher. Dort vorne. da scheint Licht. Hier werde ich in Sicherheit sein. Noch einmal blicke ich hinter mich, um mich zu vergewissern, wie nah er an mir dran ist. Doch der Mann ist weg. Wie vom Erdboden verschluckt. Plötzlich höre ich ein lautes Geräusch. Es klingt wie der Schlag eines Stockes auf einen Menschen.
Ich versuche mich neu zu orientieren, da das Licht ausgegangen ist. Ich muss den Ausgang finden, aber was, wenn der Mann noch im Wald ist und auf mich wartet? Was wenn er nur auf mich wartet? Ich werde einfach weitergehen, ohne daran zu denken. Hier ist eine Bank, die mir sehr bekannt vorkommt. Als ich noch ein Kind war, saß ich hier immer mit meinem Vater, bevor er uns verlassen hat, und den Spielplatz dort drüben kenne ich auch. Jetzt weiß ich wieder wo ich bin und wie ich nach Hause komme.
Oh Gott, was war das? ! Die Schaukel bewegt sich. Auf der Rutsche ist jemand. Es muss der Mann sein. Vor lauter laufen geht mir schon die Puste aus, aber ich darf nicht aufhören sonst erwischt er mich. AUTSCH. Ich bin hingefallen und habe mir mein Knie aufgeschürft. Dieser dumme Stock. Ich muss sofort aufstehen und weiterlaufen. Es tut so weh. Ich weiß nicht wie lange ich noch durchhalten kann. Der Mann kann mich beinahe berühren. Ist das überhaupt derselbe Mann wie vorher? Er trägt andere Klamotten. Hat der Mann gerade meinen Namen gerufen? Plötzlich schreit er „warte Hannah“. In meinem Kopf kommen so viele Fragen zusammen. Wer ist das und woher kennt er meinen Namen? Niemals würde ich auf die Idee kommen jetzt stehen zu bleiben. AHHH. Er packt mich am Arm und der Mann sagt erneut meinen Namen.
Nachdem ich die Person ansah, hatte ich keine Angst mehr. Ich habe eher das Gefühl von Sicherheit. Das Gesicht des Mannes kommt mir so bekannt vor. Nein, das kann nicht sein. Niemals. Das ist mein Dad. Wie sieht er denn aus? Ranzige Klamotten, verwuschelte lange Haare, einen viel zu lang gewachsenen Bart. Was ist mit ihm passiert?
„Ich habe dich und deine Mum, als ich vor sechs Jahren entführt wurde, gesucht. Ihr wohnt nicht mehr in derselben Wohnung am Stadtrand. Ich habe euch gesucht, aber konnte euch nirgends finden, mein Schatz.“ Ich habe immer gedacht, er hätte uns verlassen. Als er mir erzählt, dass er seit Jahren lang bereits obdachlos ist, rührt er mich zu Tränen.
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