Der Vorhang fällt
„Ich habe genug vom Leben. Ich habe genug gekämpft. Es reicht, es ist genug.“
Vielleicht klingt das zu melodramatisch, zu aufmerksamkeitsheischend, aber dieses Wort drückt alles aus, was ich sagen will. Genug.
Ich gehe von dieser Bühne ab, diese Vorstellung ist für mich zu Ende. Warum soll ich denn auch hierbleiben? Mein Text ist gesagt, meine Schritte gegangen, meine Taten vollbracht. Jetzt sind die anderen an der Reihe, meinen Platz einzunehmen. Ich habe lange darauf gewartet, endlich verschwinden zu können und die Last der Erwartung auf meinen Schultern an jemand anderen abgeben zu können. Und noch länger habe ich gekämpft. Darum, frei zu sein, ein Stückchen Leben zu ergattern, ein kleines bisschen Liebe. Aber irgendwann, als ich auf der Straße zum Erfolg war, ist mir unterwegs die Kraft ausgegangen.
Vor ein paar Monaten war ich noch voller Freude darüber, dass ich dieses Leben führen durfte. Jetzt widert mich diese Person, die ich einmal war, an. Sie ist schwach und lässt sich von anderen unterdrücken, nur um dazugehören zu können. Ich will jetzt nichts anderes, als frei zu sein.
Warum soll ich denn weitermachen? Ich war lange genug im Rampenlicht. Die große Uhr tickt laut und mechanisch meinem Ende entgegen, und ich habe nur noch ein Wort zu sagen:
„Genug.“
Ich lasse mich fallen, die Welt verschwimmt in einem Wirbel aus Farben und undeutlichen Gesichtern.
Der Schmerz ist nur kurz und heftig, dann spüre ich ihn nicht mehr. Ich schließe die Augen, und alles wird dunkel.
Ich höre den Applaus lange bevor ich die Augen wieder öffne. Der blaue Fleck, den ich später auf meiner Hüfte entdecken werde, hat sich gelohnt. Ich rappele mich auf und schaue dorthin, wo eigentlich das Publikum sitzt. Ein dunkelroter Vorhang versperrt meine Sicht, dann ein Gesicht. Lee, der mich anlächelt und mir eine Hand reicht, damit ich aufstehen kann. Ich ergreife sie und lasse mich hochziehen. Ich bin in diesem Theaterstück zum gefühlt tausendsten Mal zu Boden gefallen, und langsam reicht es mir. Trotzdem weiß ich, warum ich nicht einfach mit dem Schauspielern aufhöre.
Meine Rolle ist zwar eine traurige, denn letztendlich, als der Druck zu groß wird, gibt sie auf und beendet ihr Leben.
Aber dieses Gefühl danach, der Stolz, etwas in den Menschen da draußen in den Rängen bewegt zu haben, treibt mich weiter an. Und Lee, der immer für mich da sein wird. Ich kann nicht genug von ihm bekommen, und ich weiß, dass er immer da sein wird, wenn ich zu fallen drohe. Weil ich ihm genug bin. Weil er mir genug ist. Und weil es in diesen Momenten immer genug sein wird.
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