Des Bäckers Tochtervon Susanna Pogacar
Indonesien traf es zuerst. Bevor die Nachrichten vor den Geschehnissen warnen konnten, hatten die Wellen bereits Tausende in den Tod gerissen. Keiner wusste woher die Fluten gekommen waren. Mit einem mal war alles schwarz. Diese Leere, an die erinnerte man sich am liebsten, wenn alles andere in Grausamkeit versank. Nach dem Stromausfall war alles ruhig. Fast so, als hätte die Erde aufgehört sich zu drehen, als hätte sie aus Mitleid, oder aus Wut, den Kopf gesenkt und sei still stehengeblieben um den Menschen ein wenig Zeit zu geben, um aufzuatmen, auszuatmen. Dann fing es an, das Chaos der Geräusche. Hilfeschreie, Motorboote, das gedämpfte Plätschern des Wassers. Des Bäckers Tochter war erst seit drei Tagen im Hotel gewesen. In der ersten Nacht hatte sie schlecht einschlafen können. Vielleicht aus Heimweh, vielleicht wegen des Zeit Unterschieds, vielleicht weil der Herrgott ihr ein übles Gefühl gab und sie zu warnen versuchte. Ach, der Herrgott. An den glaubte sie doch auch schon lange nicht mehr. Seitdem er den Krebs die Mutter hatte nehmen lassen, hatte des Bäckers Tochter keine Kirche mehr betreten. Aus Prinzip, aus Enttäuschung. Der Vater verbrachte seine Sonntag Morgen bis dahin betend. Doch des Bäckers Tochter, erst neunundzwanzig Jahre jung, hatte den Glauben an die Religion wie einen alten Hut beim Eintreten in ihr neues Leben, als Halbwaise, an der Türschwelle abgelegt, und ging von nun an mit Blumen in den Haaren. Die Goldkette mit dem Kreuz Anhänger trug sie nur weil sie der Mutter gehört hatte, und davor der Großmutter. Manchmal fragte sie sich, ob sie sie überhaupt tragen dürfe. Dann besann sie sich und entschloss, sie dürfe alles was sie wolle und aus genau diesem Grund würde sie sich eine Woche frei nehmen und in den Urlaub fahren. Irgendwo weit weg, wo es Sommer war, warm und sonnig, und vor allem weit weg von diesem verflixten Krankenhaus. Sie entschied, sie hatte lange genug schwer gearbeitet, hatte die Nachtschichten für die Schwestern mit Kindern übernommen, und würde sich nun eine wohlverdiente Auszeit gönnen.
Drei Wochen später, an dem Gedenktag für alle Verschollenen Österreicher im Stephansdom, las einer ihrer ehemaligen Schulkameraden ein selbstgeschriebenes Gedicht. „Indonesien ist den Wellen unterlegen, Japan und die Philippinen schwimmen in Not. Die Unsren und die Fremden sind verschollen und verloren, 738. 000 tot. Ich lese die Zeitung und weine, meine Tochter steht nur und guckt. Ich frage mich; wie lange noch, bis die Tower Bridge fällt und der Hudson die Wall Street verschluckt?“ Der Bäcker weinte. Nachdem alle die Kirche verlassen hatten, blieb er zurück um zu beten. Ihm war nicht bewusst, dass seine Tochter, die fleißige Krankenschwester, in Indonesien ihren Urlaub damit verbrachte die Sterbenden zu versorgen und über den Gott schlecht zu reden, den er anhimmelte. Im Katastrophenhilfe Basislager auf Sulawesi kümmerte sie sich häufig um die Kinder, die nun Waisen und Halbwaisen waren. Sie lebten noch, doch es ging ihnen schlecht. In der vierten Woche starb ein siebenjähriger Junge an den Verletzungen, die er bei dem Kollaps seines Hauses erlitten hatte, als der Grund unter den Fußböden zu Matsch geworden war. Drei Tage kämpfte er mit dem Leben bevor der Tod sich entschied ihn holen zu kommen. Des Bäckers Tochter blieb diese Nacht besonders lange wach. Mal wieder konnte sie nicht einschlafen. Sie musste an den Jungen denken, seine Familie und sein kurzes Leben. Sie dachte an den Vater, das verflixte Krankenhaus, das doch wenigstens genügend medizinische Geräte besaß. Sie dachte an den Krebs und die Mutter, an die Goldkette die sie seit dem Tsunami nicht mehr gesehen hatte. An zu Hause und den kalten Winter, an Gott. Vor allem aber, an die Kinder. Die, die gestorben waren und die, die kurz davor waren. Zurück ins Dorf konnte sie nicht, auch wenn der Vater sich Sorgen mache. Hier wurde sie gebraucht. Hier erlagen Menschen noch immer ihren Wunden. Hier herrschte noch immer ein Notzustand. Sie hatte noch nicht aufgegeben, sie wollte noch helfen. Aber konnte sie noch?
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